Beispiele zur Renaissancebaukunst in Italien

Fassaden und Portale in Venedig - Teil 1

Fassade und Eingangsportal von SS. Giovanni e Paolo

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Die gotische Kirche SS. Giovanni e Paolo
Mit über einhundert Metern Länge ist die (gotische) Backsteinkirche SS. Giovanni e Paolo im Norden Venedigs der größte Kirchenbau der Stadt. Der Doge Jacopo Tiepolo hatte im 13. Jahrhundert den Dominikanern hier einen Platz für ihre Kirche, die 1430 geweiht wurde, zugewiesen.
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Und kommt man von der Calle Giacinto Gallino, wird man von der beeindruckend schlichten Fassade empfangen, deren vertikale Dreiteilung auf die innere Struktur der Basilika verweist. Der untere Teil der Fassade wird von sechs Nischen gebildet, vier von ihnen enthalten Sarkophage. Im zweiten Sarkophag von links haben der Doge Jacopo Tiepolo und sein Sohn ihre letzte Ruhe gefunden. (Wie man sehen kann, eignen sich die Nischen sehr gut als Tor für fußballbegeisterte venezianische Kinder ;-)) Im Innern befinden sich viele weitere und aufwändig gestaltete Grabmäler.

Westfassade SS. Giovanni e Paolo (S. Zanipolo)
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Das Eingangsportal wurde zwischen 1459 und 1464 gestaltet. An ihm sind gotische und Renaissance-Elemente kombiniert.

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Die mächtigen Säulen tragen korinthische Kapitelle und ein stark vorkragendes Gebälk. Das innere Säulenpaar wird im Spitzbogen mit einer "Wulst" (Encarpo) fortgesetzt, die mit Bändern zusammengebundene Blätter, Blüten und Früchte enthält. Die Darstellung über der Tür enthält die Symbole des Dominikanerordens, dazu die Lilie (für die Reinheit), die Palme (ewiges Leben), den Stern (war bei der Taufe des heiligen Dominik erschienen) und einen kleinen Hund mit Fackel (steht für die Treue zur Kirche und für den entschlossenen Kampf gegen Ketzerei) (nach (1)).


Fassade und Portal der Scuola Grande di San Marco


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Scuola Grande di San Marco und SS. Giovanni e Paolo
Im rechten Winkel an SS. Giovanni e Paolo schließt die Fassade der Scuola Grande di San Marco den kleinen Platz vor der Kirche malerisch nach Norden ab. Malerisch im wörtlichen Sinn: Das Motiv wurde von mehreren Künstlern, u. a. von Canaletto (Dresden, Gemäldegalerie) auf die Leinwand gebannt. Die Fassade der Scuola ist nicht nur eines der frühen Beispiele für die Renaissancearchitektur in Venedig (um 1490), sie ist ebenso berühmt für ihre reiche Marmordekoration und für die illusionistische Gestaltung im unteren Bereich.
Die Teilung der Fassade spiegelt dabei den inneren Aufbau des Gebäudes wider. Der linke Teil enthielt die Kapelle und den Saal der Bruderschaft von San Marco, der rechte Teil die Sala dell'Albergo. Die beiden Trakte haben separate Eingänge, werden aber mit einem durchgehenden Gesims zu einer Einheit zusammengefasst. Durch die unterschiedliche Höhe der Giebel werden sie dafür wieder deutlich voneinander unterschieden - eine geniale Konstruktion.

Scuola Grande di San Marco
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Im unteren Teil sollte man genau hinschauen: scheinbar öffnen sich große Hallen nach innen, (Markus-) Löwen schreiten heraus und Menschen wundern sich über die spontane Heilung, die Markus dem Arianus zukommen ließ. Hier wird an der Marmorfassade die kurz vorher in Florenz (wieder-) entdeckte Zentralperspektive für die Illusion genutzt.
Den Haupteingang flankieren Säulen mit korinthischen Kapitellen, im Bogenfeld über der Tür wird San Marco umgeben von verehrenden Brüdern dargestellt. Natürlich darf der Markuslöwe auch oben im zentralen Giebelfeld nicht fehlen.
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   <- Hauptportal

       Details am Nebeneingang
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Der Haupteingang der Scuola führt heute in das öffentliche Krankenhaus. Doch unabhängig davon: die runden Giebel des Gebäudes sind typisch für die frühe Renaissancearchitektur und traten als Schmuckformen vielfach auch anderswo (z. B. in Deutschland: Dom in Halle, Schloss Stadthagen u.a.) ihren Siegeszug an.


Die Fassade der Kirche Santa Maria dei Miracoli


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Dieses "Juwel der Frührenaissance" (Thorsten Droste (2)) sollte man sich auf keinen Fall entgehen lassen! Die Wandflächen der 1489 fertiggestellten Kirche sind innen wie außen vollständig mit Marmorplatten und -inkrustationen versehen. Obwohl die Kirche frei steht, ist ringsherum nur wenig Platz und Gesamtaufnahmen vom Außenbau  gestalten sich nicht einfach. Im Innern ist fotografieren sowieso nicht erlaubt.

Die Kirche ist ein tonnengewölbter Saalraum, der quadratische Chor trägt eine Kuppel. Die Außenwände sind horizontal in zwei Zonen mit vorgeblendeten Pilastern gegliedert, in der oberen Zone tragen die Pilaster runde Arkaden. Für die aufwändige Dekoration wurde verschieden farbiger Marmor verwendet. Die Schmalseiten tragen die schon bekannten runden Giebelabschlüsse.

S. Maria dei Miracoli
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Betritt man das Innere, mag manch einer zunächst enttäuscht sein, ob der klaren Schlichtheit des Raumeindrucks. Doch schon nach kurzer Zeit stellt sich Bewunderung ein für die Geometrie, die absolute Perfektion der Ornamente, der Inkrustationen und der handwerklichen Meisterschaft, die hier vor mehr als 500 Jahren am Werke war.


Die Fassade der Biblioteca Marciana (Markusbibliothek)


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Frühmorgens auf der Piazetta
"Die Fassade der Markusbibliothek stellt eine der vollkommensten Schöpfungen der italienischen Renaissance dar" (Thorsten Droste). Davon kann man sich schnell überzeugen: tatsächlich bildet die westliche Begrenzung des Piazetta genannten Platzes das kongeniale Pendant zum gegenüberliegenden Dogenpalast. Nähert man sich von der Seeseite - an den beiden monolithischen Säulen, deren eine die Figur des Stadtheiligen Theodor, die andere den Markuslöwen trägt, vorbei -, dann bildet die Piazetta den festlichen Auftakt dieses einzigartigen Ensembles von Bauwerken, mit denen man Venedig seit Jahrhunderten begrifflich verknüpft.


Fassade der Markusbibliothek *)
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*) ... hier im Doppelbild mit kleiner optischer Täuschung ;-)

Der Bau der zweigeschossigen Markusbibliothek wurde 1537 unter Leitung von Jacopo Tatti, genannt Sansovino, begonnen und nach längerer Unterbrechung von Scamozzi 1588 vollendet. Der Doge hatte Sansovino 1529 zum "protomaestro", d. h. zum obersten Baumeister, berufen.

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Das untere Geschoss öffnet sich in auf Pfeilern ruhenden Arkaden zur Piazetta, womit Sansovino ein antik-römisches Motiv aufgreift. "Bei der Gestaltung des ionischen Obergeschosses versöhnte der Architekt das beherrschende Motiv des Markusplatzes, nämlich die Halbierung der Jochweite in den oberen Arkaden, mit dem statisch begründeten Prinzip korrekter Superposition, dass jede Stütze möglichst auf einer anderen Stütze, aber nicht auf einem Bogenscheitel aufruhen sollte. Er stellte in jede Travée eine Serliana auf kleinen ionischen Säulen ein, so dass Fensterzahl und Achsen in beiden Geschossen übereinstimmen, aber das gewohnte Bild der schmaleren oberen Bogenreihe gewahrt wurde." (3)
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Interessant ist auch die spezielle Gestaltung der Gebäudeecken, wo Sansovino den dorischen Eckkonflikt bzw. den Triglyphenkonflikt (--> Wikipedia) auf einfache Weise löst.

Die lange Fassade (23 Achsen) wird nicht durch ein hervorgehobenes Eingangsportal, einen Balkon oder ähnliches gegliedert, sie ist statt dessen überaus reich und nach oben zunehmend mit dekorativen Elementen versehen. Die Fensterzwickel schmücken phantasievolle Figuren, den Abschluss des Gebäudes bildet ein Fries mit Girlanden tragenden Putten. Die Dachbalustrade ist mit Skulpturen antiker Götter besetzt, schlanke Obelisken markieren ihre Eckpunkte. Das Gebäude erscheint dadurch insgesamt größer und kann so mit der Fassade des gegenüberliegenden Dogenpalastes konkurrieren.

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Nikolai Bruno schreibt über das Bauwerk:
"Die Bibiliotheca di San Marco in Venedig ist das bedeutendste Werk Sansovinos. (...) Die Grundlage der Komposition der Bibliothek bildet der antike Säulenpfeilerbogen, jedoch in einer stark abgewandelten Form. Das erste Stockwerk ist, in seiner Höhe wie in seinen Architekturformen, stark hervorgehoben. Verglichen mit dem Kollosseum-Motiv sind die Halbsäulen durch Dreiviertelsäulen ersetzt, die Bogen werden von doppelt stehenden Säulen getragen. Die Profile sind stärker durchgearbeitet, die Zwischenräume zwischen Bogen und Gesims dicht mit Schmuckdetails bedeckt, das starke Gesims ist reich verziert. Die Fensteröffnungen unter dem Bogen sind (...) als Fenstertüren gestaltet. Die Wand als solche ist überhaupt weggefallen, und die Stützen, die bei ihrer Auflösung übriggeblieben sind, erscheinen als Pfeiler- und Säulenbündel. Überall ist eine starke Modellierung der Formen zu beobachten, auf ein nuancenreiches Helldunkel berechnet. (...) Der Unterschied der Biblioteca di San Marco zu Michelangelos Bauwerken ist ihre ruhige, ausgeglichene Komposition. Das wurde durch die einfache Form des liegenden Quaders erreicht, den der Baukörper der Bibliothek bildet, mit seinen kräftig betonten, durch Pfeiler gebildeten Ecken, die die Komposition abschließen und durch welche die über dem Hauptgesims emporragenden Obelisken betont sind. Gemeinsam mit der statuengeschmückten Balustrade bilden sie einen klaren oberen Gebäudeabschluss und verbinden es doch frei und leicht mit dem Raum." (4)

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Quellen:
(1) P. Mario Giuliano o.p.: Basilika der Heiligen Johannes und Paulus, Edizioni d'arte Marconi, N. 63, Venedig 2010
(2) Thorsten Droste: Venedig, Die Stadt in der Lagune - Kirchen und Paläste, Gondeln und Karneval; DuMont Reiseverlag, Köln, 2002
(3) Meinrad v. Engelbert: wbg Architekturgeschichte, Band 2: Die Neuzeit 1450-1800, Ordnung-Erfindung-Repräsentation, S. 164; Herausgegeben von Christian Freigang, wbg Darmstadt, Sonderausgabe 2018
(4) Nikolai Brunow: Entwicklungsetappen der Architektur, aus dem Russischen übersetzt von Lena Schäfer, VEB Verlag der Kunst Dresden, 1972, Fundus-Bücher 27/28, S. 243f.
Die Literatur zur Kunst der Renaissance in Venedig ist nahezu unüberschaubar, ein Standardwerk ist dabei
Norbert Huse, Wolfgang Wolters: Venedig. Die Kunst der Renaissance, Architektur, Skulptur, Malerei 1460-1590 , C. H. Beck 1996
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