Backsteinbau - Eine kleine Einführung


Backsteingotik?

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Marienkirche Lübeck
Wir sprechen von den Stilen der Romanik, Gotik, Renaissance usw. wenn wir uns über Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Architektur und Kunst verständigen wollen. Mit dem Stilbegriff "Backsteingotik" wird eine bestimmte Art zu bauen nicht nur mit einem ganz bestimmten Baumaterial verbunden, sondern er wird meist zeitlich und in der Regel auch räumlich auf den Norddeutschen Raum und die küstennahen Ostseeregionen begrenzt. Baukünstlerisch erfordert der Backsteinbau tatsächlich eine Reduktion der Profile, die sonst mit Hausteinen realisiert werden könnten.
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Kloster Chorin
Schon früh haben sich deswegen im Backsteinbau bestimmte Formen und Dekorationselemente wie Friese oder Bänder herausgebildet. Ausgehend von den Backsteinbauten des norddeutschen Raumes prägte sich so begrifflich ein Sonderstil - eben die Backsteingotik - heraus. In einem größeren Rahmen wäre das aber zu kurz gefasst, denn das Bauen mit Backsteinen ist schon sehr alt und trotz der regionalen Konzentrationen nicht nur auf einen Raum begrenzt. Voraussetzung ist natürlich das Vorhandensein von Lehm- bzw. Tongruben oder der Zugriff darauf. Schauen wir also, was mit Backsteinen möglich ist und auf den folgenden Seiten, was im mitteldeutschen und Ostsee nahen Raum mit Backsteinen gebaut wurde.

Mesopotamien - Babylon

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Detail vom Ischtartor, Vorderasiatische
Sammlungen, Berlin
Da, wo natürliches Gestein nicht oder nicht in ausreichender Menge zur Verfügung stand, wurden schon im Altertum  luftgetrocknete oder gebrannte ("gebackene") Ziegel aus Lehm oder Ton verwendet. Eine hohe Blüte erreichte diese Bauweise im Zweistromland; aus Ziegeln bestanden die Zikkurate und Mauern der mesopotamischen Städte. Weltberühmt sind die Prozessionsstraße und das Ischtartor von Babylon. Die farbig glasierten Ziegel und die mit hoher künstlerischer Meisterschaft gestalteten Tierfiguren rufen bis heute unsere Bewunderug hervor.

Backstein bei den Römern

In Westeuropa verwendeten die Etrusker als erste Backsteine, gefolgt von den Römern. Die monumentalen Bauten im römischen Reich wären ohne die Backsteintechnologie nicht möglich gewesen. Die Römer allerdings verputzten meistens die Außenwände oder verkleideten sie mit dem in ihren Augen edleren Marmor. "Eine Stadt aus Ziegeln habe ich vorgefunden, eine aus Marmor hinterließ ich" - so rühmte sich der Kaiser Augustus. Die Römer verwendeten relativ flache Steine, deren Form sie aus einer Art breitgewalzten oder gestrichenen "Kuchen" herausschnitten. Deutlich sind an den römischen Bauten die flachen Ziegel zu erkennen.

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V.l.n.r.: Forum Romanum (Unterbau der Toca-Säule, links), Pantheon (Rückseite), Porta S. Giovanni, Rom

Ravenna

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San Vitale (Mauerwerksdetail)
Der Backsteinbau ging nicht mit dem (west-) römischen Reich unter, sondern kam in frühchristlicher Zeit (über Byzanz) zurück nach Oberitalien (Ravenna) und entwickelte sich dann in den lombardischen Städten weiter. Das Mausoleum der Galla Placida gilt als ältestes erhaltenes Bauwerk in Ravenna. Berühmtestes Bauwerk in Ravenna und Vorbild für viele weitere Zentralbauten ist aber die Kirche San Vitale mit ihren prachtvollen Mosaiken im Inneren.

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San Vitale und Mausoleum der Galla Placidia, Ravenna

Bologna und Verona

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An einem der schönsten Plätze in Bologna steht der Sakralkomplex Santo Stefano. Die Bauten haben ihren Ursprung bereits gegen Ende des 4. Jahrhunderts, als Bischof Ambrosius von Mailand hier ein Heiligtum errichten ließ. Vom Ende des 10. bis 12. Jahrhunderts erneuert und erweitert, findet man hier sehr schön einige der verschiedenen Zierformen, die sich mit Backsteinen realisieren lassen: Rundbogenfries, Kreuzbogenfries, "Deutsches Band" (schräg mit der Kante nach vorn gestellte Steine), Konsolen, Schrägmauerwerk, Rhomben- und Rautenmuster oder farbig eingelegte Steine. Falls Sie dort sind, schauen Sie sich die Details in Ruhe an!

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Komplex Santo Stefano, Bologna

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San Lorenzo (Detail),
Verona
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San Lorenzo (Detail),
Verona
Mit Backsteinen müssen andere Elemente für die Dekoration geschaffen werden als sie z. B. durch bildhauerische Tätigkeit bei der Verwendung von Sandsteinen, Kalksteinen usw. (sogenannten Hausteinen) möglich sind. Bei der Kirche San Lorenzo in Verona waren die Baumeister erfinderisch: Neben dem typischen Rundbogenfries unter der Dachtraufe verwendeten sie abwechselnd Lagen aus roten Backsteinen, weißen Tuffsteinen und darüber hinaus Kieselsteine für die Gestaltung der Außenmauern. Nur die Strebepfeiler sind komplett aus Backsteinen.

Bei der größten Kirche in Verona, Santa Anastasia, bestehen die flächigen Außenmauern ebenfalls vollständig aus Backsteinen, für die Schmuckelemente (Maßwerk, Konsolen) wurden jedoch weiß abgesetzte Hausteine bevorzugt.

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Santa Anastasia, Verona

Die Eingangsfassade von Santa Anastasia blieb unvollständig, möglicherweise sollte sie ebenso wie das Portal vollständig mit Marmor verkleidet werden.

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Santa Anastasia, Verona


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San Petronio, Bologna
Unvollendet blieb auch die Basilika San Petronio in Bologna. Diese riesige Backsteinkirche - sie ist mit ca. 250000 m³ umbautem Volumen die größte Backsteinkirche der Welt - sollte ursprünglich noch größer werden! Doch dann war entweder der Bauwille erloschen oder das Geld alle: die unfertige Ostseite wurde kurzerhand zugemauert und die geplante Marmorverkleidung der die Piazza Maggiore beherrschenden Fassade blieb auf die Portalzone beschränkt.

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San Petronio, Bologna


Südfrankreich: Sainte-Cécile in Albi


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Kathedrale in Albi
Backsteinbauten gibt es auch in Südfrankreich, ein Beispiel ist die Jakobinerkirche (um 1260 bis 1305) in Toulouse, bekannter und wahrscheinlich prominentester Vertreter aber ist die wehrhaft anmutende Kathedrale Sainte-Cécile in Albi. Der Bau der Kathedrale dauerte von 1282 bis 1332; die endgültige Fertigstellung zog sich dann aber bis zum Ende des 15. Jahrhunderts hin. Nirgendwo sonst wird eine architektonische Machtdemonstration deutlicher formuliert als hier: "Wir haben sie besiegt" - die Aufstände der Katharer und Albigenser wurden von der Zentralmacht grausam niedergeschlagen.

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Monumental-Architektur: Die Kathedrale in Albi

Backsteingotik in Bayern


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Liebfrauenkirche Ingolstadt
Auch in Süddeutschland lassen sich Backstein"inseln" finden - so faszinieren in Bayern vor allem die großen gotischen Hallenkirchen des späten 14. und 15. Jahrhunderts: Zum Beispiel St. Martin in Landshut (ab 1389), die Liebfrauenkirche in Ingolstadt (ab 1425) oder die bekannte Frauenkirche in München (ab 1468).
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Liebfrauenkirche

Die Kirche "Zur Schönen Unserer Lieben Frau" in Ingolstadt ist eine dreischiffige Hallenkirche, an deren Äußeren sofort die Türme auffallen: sie sind über Eck gestellt! Nicht alles wurde in Backstein ausgefürt, die hellen Fenstergewände, Portale, Eckqader der Türme und die Außenseiten der Strebepfeiler werden durch den Kalkstein dekorativ hervorgehoben. Zwischen den Strebepfeilern befinden sich zusätzliche Kapellen. Leider blieben die Türme unvollendet.
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Liebfrauenkirche in Ingolstadt, Südwand und Innenansicht

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Liebfrauenkirche München
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Liebfrauenkirche München
Auch die Münchner Frauenkirche ist mit ihren besonderen Dachformen der Türme zu einem Wahrzeichen der Stadt geworden. Mit Abmessungen von 109 Meter Länge und 37 Meter Gewölbehöhe gehört sie mit zu den größten Bauten dieser Art. Bei genauer Betrachtung erkennt man hier, dass die sonst bei gotischen Kirchen charakteristischen äußeren Strebepfeiler komplett fehlen. Die Pfeiler sind sozusagen ins Innere gerückt, denn ihre Funktion übernehmen innen die Trennwände der Seitenkapellen. So kann das äußere Mauerwerk kompakt gestaltet werden, ein architektonisches Gestaltungsprinzip, das auch bei anderen Bauten der Spätgotik häufig verwendet wurde.

Danzig und Marienburg (Gdansk und Malbork)


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Marienkirche Danzig
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Marienkirche Danzig, Chor
In den Regionen der Ostseeküste und darunter im ehemaligen Ordensland Preussen finden sich herausragende Beispiele der Backsteinarchitektur.  Mit ihren gewaltigen Ausmaßen gehört die Marienkirche in Danzig ebenfalls zu den ganz großen Hallenkirchen. Ihr Bau, der etwa 150 Jahre von 1343-1502 andauerte, zeugt vom Reichtum und Bürgerstolz der alten Hansestadt. Es gibt keine Strebepfeiler an den Außenmauern von Schiff, Chor und Querhaus, die innenliegenden Trennwände der Kapellen übernehmen deren Funktion. Eine Besonderheit stellt der rechteckige Chorabschluss dar, dessen Oberkante von kleinen Türmen und Fialen bekrönt wird.

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Marienburg (Malbork)
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Marienburg (Malbork)
Die am Fluss Nogat gelegene Marienburg (Malbork) war im Mittelalter der Sitz des Hochmeisters des Deutschen Ritterordens. Die eindrucksvolle Burganlage (UNESCO-Weltkuturerbe) ist Europas größtes Backsteinbauwerk. Im Zweiten Weltkrieg schwer zerstört, ist die Burg heute wieder hervorragend restauriert und ein absolutes Muss nicht nur für Burgenfreunde. Neben ihren wehrtechnischen Anlagen (Tore, Zwinger, Türme) begeistert die architektonisch außerordentlich reiche Gestaltung.

Neubrandenburg: Stadtbefestigung

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Stargarder Tor, Neubrandenburg
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Stargarder Tor, Vortor, Neubrandenbg.
Aus Backsteinen wurden natürlich nicht nur Burgen gebaut, sondern auch Stadtmauern und Stadttore. Die Stadttore erfüllten zwar wehrtechnische Zwecke, sie dienten aber ebensogut der Repräsentation. Neuankömmlinge sollten den städtischen Reichtum beim Betreten der Stadt sehen. Besonders prachtvoll stattete Neubrandenburg  seine vier Stadttore aus - das Stargarder Tor besteht aus Torturm und einem Vortor, dessen Fassade die Wehrfunktion fast vergessen lässt...

Ausblick

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"Sassenpoort", Zwolle, NL
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"Koornmarktspoort",
  Kampen, NL
Halten wir fest: Der Backsteinbau breitete sich vorwiegend in den natursteinarmen Regionen der nord- und mitteleuropäischen Küstenländer aus. Er blieb dabei nicht auf sakrale Bauwerke beschränkt, sondern setzte sich im Mittelalter auch bei Profanbauten durch. Rat- und Patrizierhäuser entstanden, Stadtmauern und repräsentative Stadttore, Burgen und Festungen wurden aus Backsteinen gebaut. In der Neuzeit erlebte der Backstein durch industrialisierte Herstellungsverfahren (Erfindung der Strangpresse und neue Brennöfen) eine Renaissance. Insbesonders die leuchtend rote Färbung eignete sich in Verbindung mit andersfarbigem Dekor sehr gut für gehobene Repräsentation.
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Amsterdam Centraal
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Rotes Rathaus, Berlin
Der Hauptbahnhof Amsterdam (Amsterdam Centraal) im Neorenaissancestil ist dafür ein Beispiel. Im Giebel des Gebäudes befinden sich unter dem Reichswappen zwischen zwei Löwen die Wappen europäischer Städte, die man von hier mit dem Zug erreicht - u. a. rechts neben dem Amsterdamer Wappen (drei Kreuze!) das Wappen von Berlin. Fahren wir also nach Berlin! Denn mit dem Berliner Roten Rathaus (1861-1871), so genannt wegen der leuchtend roten Farbe der Backsteine, soll der kleine Exkurs hier jetzt beendet werden.

In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts tritt in Deutschland verstärkt das Bauen mit Backsteinen auf. Die ersten größeren Bauten im Formenschatz der (Spät-) Romanik entstehen und es ist spannend zu sehen, wie im weiteren Verlauf aus den romanischen Backsteinkirchen sich schließlich die Kathedralen der Backsteingotik entwickeln.

Folgen Sie mir auf den nächsten Seiten nach Sachsen-Anhalt in die Backsteinromanik des Jerichower Landes!

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Backsteinkirchen im Jerichower Land