Exkurse zur Architektur: Innenräume barocker Kirchen


Das Marienmünster Dießen


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Das Marienmünster in Dießen am Südwestufer des Ammersees in Oberbayern war ursprünglich eine Augustiner-Chorherrenstiftskirche. 1803 erfolgte die Aufhebung des Stiftes, seit 1804 ist die Kirche Mariä Himmelfahrt katholische Pfarrkirche des Ortes. Sie gehört zu den herausragenden Schöpfungen des süddeutschen Spätbarock. Die Kirche überzeugt im Innern durch ihre prachtvolle und einheitliche Ausstattung, wozu wohl auch die kurze Bauzeit (der Neubau der Kirche begann im Frühjahr 1732, die Weihe fand im September 1739 statt) beitrug. Die beteiligten Künstler stimmten Kubatur und Ausstattung genial aufeinander ab. Die barocken Altäre, die Stuckaturen, die weiß-gold-braune Gesamtfarbstimmung und die monumentalen Deckengemälde bilden mit der Architektur des saalartigen Wandpfeilerraumes eine bemerkenswerte Raumwirkung. Treten wir ein!
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Von der Vorhalle unter der Musikempore aus fällt der Blick zunächst durch ein kunstvolles schmiedeeisernes Gitter in den hellen Hauptraum. Es ist ein "Theatre Sacrum" - ein Heiliges Theater. Wie Kulissen wirken die prächtigen Seitenaltäre, die den Blick nach vorn zum Höhepunkt, zum Hauptaltar in den Chorbereich lenken!

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Der Hochaltar

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Mächtige Säulen aus Kunstmarmor mit vergoldeten Kapitellen bestimmen Chorraum und Altar. Dabei errreicht der Altaraufbau mehr als 20 Meter Höhe. Links und rechts befinden sich die mehr als doppelt lebensgroßen Statuen der vier Kirchenväter Augustinus, Gregor (d.Gr.), Ambrosius und Hieronymus. Die Kirchenväter bezeugen die Himmelfahrt Mariens, die auf dem über acht Meter großen Altargemälde über dem Sockelgeschoss (mit acht feingeschnitzten und vergoldeten Relieftafeln) dargestellt wird. Gemalt hat das Bild der Münchner Künstler Balthasar Augustin Albrecht im Jahr 1738. Er gab dem Himmelfahrtsgeschehen noch drei weitere Symbole bei, die für die Stärke und Gegenwart Gottes (eine Säule), für das Leben (eine Palme) und für Unverweslichkeit/Ewigkeit (eine Aloe) stehen. Der Altar hat eine Besonderheit: Das Bild lässt sich versenken! Das ist wirklich großes Theater.

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Über dem Altarbild wird in stark bewegter barocker Manier das Dreifaltigkeitsgeschehen dargestellt: Christus kommt herbeigeeilt, um seine Mutter in Empfang zu nehmen; selbst Gottvater auf dem Wolkenthron scheint vom Himmelfahrtsgeschehen ergriffen. Im Zentrum des Strahlenkranzes oben schwebt die Taube des Heiligen Geistes. Kleine Engel lugen zwischen dem Gewölk hervor und lassen uns am Geschehen teilhaben, indem sie den Vorhang des Baldachins ein wenig lüpfen. Theatrum Sacrum.

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Dreifaltigkeitsgeschehen


Der Dießener Himmel

Das Fresko in der Kuppel über dem Altarraum stammt von Johann Georg Bergmüller. Er malte 1736 den sogenannten "Dießener Himmel": 28 bedeutende Persönlichkeiten, die im Zusammenhang mit der Gründung und Förderung des Stiftes stehen, Heilige und Selige, gruppieren sich um die zentrale Christusfigur. Darunter finden sich prominente Vertreter wie z. B. die hl. Elisabeth von Thüringen, das Kaiserpaar Heinrich und Kunigunde, Kaiser Karl d. Gr. und viele andere. Zu Füßen Christi werden die Heiligen des Dießener Stammhauses hervorgehoben: wir sehen hier zum Beispiel den Stifter Rasso mit dem Plan des Klosters, über ihm auf der Wolke mit verklärten Blicken Mechthildis (mit Hostienkelch) und Rathardus.

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Kuppelfresko "Dießener Himmel"


Die Deckenfresken

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Von Bergmüller stammt auch das große sich über drei Joche erstreckende Deckenfresko im Langhaus. Es ist ein Glanzstück der illusionistischen Malerei. Die Langhauswände werden durch gemalte Stufen und Gesimse nach oben fortgesesetzt, in der Mitte öffnet sich der Blick in den Himmel zur Jungfrau Maria. Diese thront als Himmelskönigin in wolkiger Höhe, ihr zu Füßen versammelt die Heiligen. Petrus hält die großen Schlüssel in der Hand, der hl. Georg tritt auf den besiegten Drachen und in dem vor Augustinus geöffneten Buch liest man "ANTE OMNIA DILIGATUR DEUS" - zuerst soll Gott geliebt werden. Rechts darunter bestätigt der Papst die vom Himmel abgesegnete Stiftung, am unteren Bildrand präsentieren die Stifter den Neubau. Bergmüller hat an alles gedacht, selbst die über den Rand hängenden Beine der Knaben werfen Schatten auf die Brüstung! Die gegenüberliegende Seite des Deckengemäldes zeigt die junge Mechthildis beim Eintritt in das Kloster und verweist auf die erfolgten Wunderheilungen. Auch hier ist die gemalte Architekturillusion perfekt.

Deckenfresko im Langhaus
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Bergmüller erzählt in seinen Fresken aus der sagenhaften Geschichte des Klosters. Das Fresko im Chorbogen zeigt so die von "ganz oben" inspirierte Gründung des ersten Klosters durch Rathardus und deren Bestätigung durch Ludwig den Frommen. Das entsprechende Pendant über der Orgelempore hat die Auffindung der Gebeine des Rathardus und die damit verbundenen Wunderheilungen zum Inhalt.

Deckenfresken zur Geschichte
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Die Kanzel

Die barocke Kanzel von Johann Babtist Straub am Wandpfeiler nimmt in den Kanzelreliefs Bezug auf Leben und Wirken des Apostels Paulus. Dieser wortgewaltige Apostel spielte bekanntlich bei der Verbreitung des Christentums eine wesentliche Rolle. Auf dem Schalldeckel wird der verzückte Paulus in typisch barocker Manier unter dem Auge der Trinität dargestellt. Und innen schwebt die Taube des heiligen Geistes unter dem Deckel...

Die Kanzel
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Altäre, Heilige, Putten und Stuck

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Die sogenannten Wandpfeilersaalkirchen bieten mit ihren paarweise angeordneten Kapellen bzw. Altären an den Wandpfeilern den Gläubigen die Möglichkeit, vom Eingang her den Weg des Christentums an den einzelnen Stationen bis zum himmlischen Jerusalem (Altarraum) zu zelebrieren. In der Marienkirche Dießen ist dieser Weg in seiner barocken Idee von der am Ende triumphierenden Kirche genial gestaltet. So zeigen die Altarbilder und die begleitenden Heiligen Martyrium, Steinigung und Tod, aber auch den Kampf und schließlich wird der Tod am Ende besiegt, Maria wird in den Himmel aufgenommen. Die Darstellungen sollen überwältigen, Barock ist die Zeit großer Gesten.

Vier Seitenaltäre

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Vier (von acht) Seitenaltären: Engelskampf, Tod und Auferweckung des Lazarus, Steinigung des
Stephanus, Martyrium des Sebastian

Die Märtyrer und Heiligen werden mit ihren Attributen dargestellt:

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V.l.n.r.: Petrus, Andreas, Simon, Matthias, Judas Taddäus

Kaum zählbar sind die vielen kleinen Engel, die sich an den Altären, auf den Altaraufsätzen oder auf den Gesimsen tummeln. Beim "Engelskampfaltar" kämpft nicht nur der Erzengel Michael gegen den Teufel, sondern er findet am Rahmen noch Unterstützung durch kleine Engel, die mit Blitzen und Flammenschwert gegen kleine "Teufelskinder" kämpfen. Diese sind übrigens leicht an ihren "Fledermausflügeln" zu erkennen!

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"Engelskampf", im Tondo oben: Ignatius v. Loyola, Gründer des Jesuitenordens

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Die kleinen Engel tragen die Büsten der Märtyrer und ihre Marterwerkzeuge, halten Kronen bereit, trompeten, halten triumphierend Kreuze in den Händen oder sind einfach nur malerisch angeordnet. Die Phantasie der Künstler kennt keine Grenzen. Das Weiß und Gold kontrastiert wirkungsvoll mit den Brauntönen des Kunstmarmors. Die Stuckarbeiten sind hervorragend. Sie wurden 1636/37 von Wessobrunner Künstlern ausgeführt.

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Würdigung

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"Die ehemalige Augustiner-Chorherrenstiftskirche Mariä Himmelfahrt zu Dießen zählt zu den bedeutendsten Schöpfungen des Spätbarock im süddeutschen Raum. Der im Prinzip einfache, saalartige Wandpfeilerraum ist von Johann Michael Fischer in bayerischer Art von ureigenen Raumideen durchdrungen und wird im Hinblick auf die Bedeutung der theologisch zentralen Themen dieser Zeit, nämlich Eucharistie, Dreieinigkeit und Himmelsaufnahme Mariens, in genialer Weise durchgestaltet. Der eigenstark geschaffene Chorraum ist ein besonderes Meisterwerk. Als Audienz- und Thronsaal Gottes (ist es ein) ... 'Heiliges Theater' (...) " (Werner Schnell, 1)

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Quellen und Literatur:
1) Werner Schnell, Marienmünster Dießen, PEDA Kunstführer Nr.984/2016, Passau 2016
2) W. Hansmann, Barock, Deutsche Baukunst 1600-1760, E.A. Seemann, Leipzig 1997
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zur Heilig-Kreuz-Kirche in Landsberg am Lech