Exkurse zur Architektur: Innenräume von Kirchen aus der Zeit der Renaissance


San Giorgio in Braida, Verona


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Die Kirche San Giorgio ist ein wichtiger Bezugspunkt in der Stadtlandschaft Veronas. Schon Ende des 8. Jh. stand hier eine erste Kirche auf den Wiesen vor den Stadtmauern. Von dem weiten Platz soll daher die Bezeichnung "Braida" (deutsch "breit") abstammen. Nach 1046 wurde an gleicher Stelle ein Benediktinerkloster gebaut. Von diesen Bauten ist nichts erhalten. Das heutige Kirchengebäude wurde ab 1477 auf Initiative Venezianischer Mönche errichtet. Der Baumeister ist jedoch unbekannt.
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Michele Sanmicheli entwarf nachweislich den Glockenturm und die Kuppel. (Die Kuppel wurde erst 1604 fertiggestellt.)  Hier in Verona sind Kuppel und Tambour (auch Trommel oder Tholonat - Zylinder, auf den die Kuppel aufsetzt) ein eher seltenes Beispiel von Renaissancearchitektur. Der (unvollendete) Glockenturm sollte ein ensprechendes Pendent zum Turm des Domes auf der anderen Etschseite bilden. Möglicherweise geht das harmonische Innere der Kirche ebenfalls auf Sanmicheli zurück.

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Links von der Kirche steht ein kleineres Gebäude von 1791, dessen Fassade eine Reihe von Beschädigungen aufweist - ein Andenken an die Kämpfe zwischen Franzosen und Österreichern, die die gegenüberliegenden Ufer des Etsch eingenommen hatten. Auf der anderen Seite der Kirche (zum Fluss hin) befinden sich die neuen Räumlichkeiten (Kreuzgang) des einstigen Klosters.

Als Goethe auf seiner berühmten Italienreise (1) durch Verona kam, lobte er die Kirche besonders wegen ihrer wundervollen Altargemälde. Allerdings stellt er selber fest, dass er eigentlich von Malerei nichts versteht.

Verona, den 17. September.
"Was ich von Gemälden gesehen, will ich nur kurz berühren und einige Betrachtungen hinzufügen. Ich mache diese wunderbare Reise nicht, um mich selbst zu betriegen, sondern um mich an den Gegenständen kennen zu lernen; da sage ich mir denn ganz aufrichtig, daß ich von der Kunst, von dem Handwerk des Malers wenig verstehe. Meine Aufmerksamkeit, meine Betrachtung kann nur auf den praktischen Teil, auf den Gegenstand und auf die Behandlung desselben im allgemeinen gerichtet sein."
(1)

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Gehen wir hinein, schauen uns um und Sie können sich selbst eine Meinung zu den Meisterwerken bilden!

Dankenswerterweise befindet sich in der Kirche eine hilfreiche Informationstafel mit Grundriss und Angaben zu den Gemälden in den Seitenkapellen. Dieser Tafel und weiteren Informationstafeln neben den Kapellen wurden die obigen und die folgenden Informationen entnommen.

Goethe weiter: "St. Giorgio ist eine Galerie von guten Gemälden, alle Altarblätter, wo nicht von gleichem Wert, doch durchaus merkwürdig." (1)

Francesco Caroto: Die heilige Ursula mit ihren Gefährtinnen

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Gleich links in der ersten Seitenkapelle befindet sich ein Spätwerk (1545) von Caroto (1480-1555), einem Schüler von Liberale und Mantegna.
Das Bild kann, wie auch alle anderen, auf Knopfdruck beleuchtet werden. Zusätzlich erfährt man dabei folgendes: Die heilige Ursula erlitt im 5. Jahrhundert, als sie von einer Pilgerreise von Rom zurückkehrte, in Köln durch die Hunnen den Märtyrertod, zusammen mit ihren Gefährtinnen, elftausend Jungfrauen. Soweit die Legende - aber vielleicht waren es ja auch nur elf Gefährtinnen - auf jeden Fall Vorlage für ein Gemälde.

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Auf der hölzerne Predella werden weitere Szenen dargestellt: die Segelschiffe auf See, das Martyrium der Jungfrauen und der Traum der Heiligen Ursula.
Goethe (1) hat das Bild gesehen und schreibt: (Der) "Künstler, der die heilige Ursula mit den eilftausend Jungfrauen vorzustellen hatte, zog sich mit großem Verstand aus der Sache. Die Heilige steht im Vordergrunde, als habe sie siegend das Land in Besitz genommen. Sie ist sehr edel, amazonenhaft jungfräulich, ohne Reiz*) gebildet; in der alles verkleinernden Ferne hingegen sieht man ihre Schar aus den Schiffen steigen und in Prozession herankommen."
*) Schade, dass man Goethe nicht mehr fragen kann, wie er sich den Reiz einer hl. Jungfrau vorstellt ;-))  (Anm. hb)

In der zweiten Kapelle auf der linken Seite befindet sich das Gemälde

Das Martyrium des hl. Laurentius

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von Sigismund de Stefani (?-1574). Die nebenstehende Tafel klärt auf: Der heilige Laurentius (ein römischer Diakon, der 261 n. Chr. den Märtyrertod auf einem brennenden Rost erlitt) ist einer der bekanntesten und am meisten verehrten christlichen Märtyrer. Seine Geschichte wurde u. a. vom Heiligen Ambrosius überliefert. Als der römische Präfekt Laurentius befahl, alle Schätze der Kirche zu übergeben, wies dieser auf eine Menge kranker und armer Menschen hin und sagte: „Das sind unsere Schätze.“
Kaiser Konstantin ließ in Rom an der Stelle seiner Grabstätte eine Basilika errichten, die heute San Lorenzo vor den Mauern heißt.
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Die Seitenflügel des Altars in der dritten Kapelle der linken Seite bemalte Francesco Caroto mit den Heiligen Sebastian und Rochus, von ihm stammen auch die kleinen Szenen der Predella. Das Mittelstück stellt den hl. Josef mit dem Kind dar, es wurde von Recchia  1882 gemalt. Die Lünette oben stammt von Brusasorci.
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Thronende Madonna oder Madonna vom Gürtel

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Gerolamo dai Libri (1474-1555) ist der Schöpfer des Altargemäldes in der 4. Kapelle auf der linken Seite. Die Darstellung einer typischen Renaissancelandschaft, das elegante Design der Kleidung und die sorgfältige malerische Ausführung kennzeichnen dieses Meisterwerk eines der großen Meister in Verona.
Rechts von der Jungfrau auf dem Thron steht S. Lorenzo Giustiniani, Patriarch von Venedig seit 1451, Gründer der Kongregation der Kanoniker von S. Giorgio in Alga im Jahr 1410 und Rektor von S. Giorgio in Verona von 1442 bis 1669. Auf der linken Seite der Madonna steht der heilige Zeno, Bischof von Verona zwischen 362 und 372, Afrikaner und Verteidiger der Orthodoxie. Sein Erkennungszeichen ist der Fisch. Die (später hinzugefügte) Lünette von Domenico Brusasorci zeigt Gottvater.

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Bild "Verona_SGiorgio2_13.jpg"Moretto: Madonna und Heilige
Auch die beiden großen Maler der Brescianer Hochrenaissance, Moretto und Romanino, sind in San Giorgio vertreten.  Von Moretto (eigentlich Alessandro Bonvinci,1498-1554) stammt das Gemälde Madonna mit Kind und Heiligen, dargestellt werden hier die hl. Cäcilie, Katharina, Lucia, Agatha und Agnes.
Bevor wir uns dann den Höhepunkten, den Monumentalgemälden im Presbyterium und dem Gemälde des Hochaltars zuwenden, werfen wir noch schnell einen Blick auf die Bilder der rechten Seitenkapellen.


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Francesco Montemezzano (1555-1602): Noli me Tangere

Montemezzano war ein Schüler von Veronese. Der Altar in der ersten Seitenkapelle rechts ist den Heiligen Magdalena, Martha und dem Bischof San Lazaro gewidmet. Er wurde 1606 von der Apothekergilde gestiftet. Maria Magdalena, die die Füße Christi wusch, ist diejenige, der der vom Grab Auferstandene zuerst begegnete.

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In der nächsten Seitenkapelle rechts befindet sich ein Altarbild von Pasquale Ottino (1578-1630). das Mariä  Himmelfahrt zum Inhalt hat und gleichzeitig die wichtigsten Heiligen der Benediktiner versammelt. Auf der Tafel daneben erfährt man mehr:
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Das Kloster S. Giorgio war von 1046 bis 1070 Benediktinerkloster. Von den bedeutenden Heiligen dieses Ordens werden dargestellt: (Von links) Heiliger Benedikt (480–574), Begründer des westlichen Mönchtums;
der hl. Abt Antonius, ein Ägypter (-356), Patriarch des Mönchtums, mit dem Symbol der Wachsamkeit (Glocke) und dem kleinen Schwein (das er für die Armen aufgezogen hatte); San Mauro (6. Jh.) Patriarch des französischen Mönchtums, einer der ersten Schüler des hl. Benedikt; der hl. Bernhard (1091–1153), Franzose, Erster im Kampf gegen Häresien (Attribute: Buch, und besiegter Teufel zu seinen Füßen).
Der knieende Bischof, von dem manche glauben, er sei der heilige Augustinus (354–430), könnte der heilige Anselm (1033–1109) sein, Benediktiner, Philosoph und Theologe, Erzbischof von Canterbury, Namensgeber des Priors Anselmo Canerio von San Giorgio.

Domenico Robusti (Tintoretto): Das Pfingstwunder

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In der 3. Seitenkapelle rechts können wir wieder ein Meisterwerk bewundern: Das "Pfingstwunder" von Domenico Robusti (1562-1637), Sohn des Iacopo. Robusti? Nie gehört... Kein Wunder, denn er ist den meisten unter dem Namen Tintoretto bekannt. Zum Pfingstwunder heißt es in der Apostelgeschichte 2,3ff.: "Es erschienen ihnen Zungen wie aus Feuer, die geteilt wurden und auf jedem von ihnen ruhten; und sie wurden alle mit dem Heiligen Geist erfüllt..." So sehen wir also die Taube, Symbol des hl. Geistes in der Mitte oben umgeben von Engeln. Die Strahlen treffen die Jungfrau Maria und die Apostel, auf deren Köpfen kleine Flämmchen erscheinen.

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Brusasorci: Maria und die Erzengel

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In der nächsten Kapelle begegnet uns ein Altargemälde von Felice Riccio, bekannt als Brusasorci (1542-1605), auf dem die Madonna mit den drei Erzengeln Gabriel. Michael und Raphael dargestellt werden. Gabriel hält in der Hand die Lilie der Verkündigung, Michael mit Schwert und Seelenwaage triumphiert über den Teufel, der sich besiegt unter seinen Füßen windet, und Raphael beugt sich nieder zu dem kleinen Tobiolo, um ihn zu beruhigen und zu beschützen, denn dieser hatte Angst vor dem Teufel...

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Paolo Caliari, genannt Veronese: Das Martyrium des hl. Georg

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Das bedeutendste Kunstwerk in der Kirche und eines der großen Meisterwerke überhaupt stellt Veroneses Gemälde für den Hochaltar dar. Veronese lebte damals schon längst in Venedig und schuf dort eine Vielzahl von großformatigen Bildern. Doch als die Apsis von San Giorgio durch Sanmicheli renoviert und 1563 der Hochaltar durch Bernardini Brugnoli errichtet worden war, sollte das ursprünglich hier vorhanden Bild (Der hl. Georg und die Prinzessin, von Caroto) ersetzt werden. Veronese nahm den Auftrag an, möglicherweise weilte er gerade zu dieser Zeit (irgendwann zwischen 1554 und 1566) anlässlich der Heirat seiner Tochter in seiner Geburtsstadt Verona.
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Die Komposition des Bildes besteht aus zwei Teilen, verbunden durch einen die Märtyrerpalme bringenden Engel. In der oberen Hälfte gibt es die zart colorierte Gruppe der Madonna mit dem Kind, Petrus und Paulus und die drei Kardinaltugenden: Der Glaube hält den Kelch, die Barmherzigkeit hält zwei Kinder in den Armen und die Hoffnung trägt ein grünes Gewand. Im unteren Teil sehen wir in dramatischer Gestaltung den hl. Georg in Erwartung des Martyriums, umgeben von Ungläubigen und Folterknechten.
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Das Altargemälde gab Veronese Gelegenheit, sein hervorragendes malerisches Können erneut zu demonstrieren. Er benutzt im unteren Teil kräftige Farben, um die Dramatik des Geschehens vom blauen Himmel des Hintergrundes wirkungsvoll abzusetzen. Das Bild ist 426 cm x 305 cm groß.

Napoleon ließ das Bild 1797 nach Paris bringen, doch nach seiner endgültigen Niederlage kam es 1815 wohlbehalten zurück.


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Manna und Brot

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Und es geht noch größer! An den Seitenwänden des Presbyteriums (d. i. der Chor- beziehungsweise Altarraum) befinden sich zwei Monumentalgemälde: Auf der rechten Seite Paolo Farinatis "Wundersame Brotvermehrung" (1603) und gegenüber Felice Brusasorcis "Mannalese", die von seinen Schülern Alessandro Turchi und Pasquale Ottino vollendet wurde.

Brusasorci: Die Mannalese
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Goethe musste natürlich zu diesen beiden riesigen Bildern seinen Kommentar dazugeben. Er schreibt: "Aber die unglückseligen Künstler, was mußten die malen! und für wen! Ein Mannaregen, vielleicht dreißig Fuß lang und zwanzig hoch! das Wunder der fünf Brote zum Gegenstück! was war daran zu malen? Hungrige Menschen, die über kleine Körner herfallen, unzählige andere, denen Brot präsentiert wird. Die Künstler haben sich die Folter gegeben, um solche Armseligkeiten bedeutend zu machen. Und doch hat, durch diese Nötigung gereizt, das Genie schöne Sachen hervorgebracht." (1)

Farinati: Die wundersame Brotvermehrung
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Quellen und Literatur:
1) Goethe, Italienische Reise, entnommen aus: Gutenberg-Projekt, https://www.projekt-gutenberg.org/goethe/italien/ital132.html
2) Informationstafeln in der Kirche San Giorgio
3) W. Pippke, I. Leinberger: Gardasee. Verona, Mantua, Trentino. Kunst und Geschichte im Zentrum des Alpenbogens, DuMont Kunst-Reiseführer, DuMont Reiseverlag Ostfildern, 2011
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