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Die mittelalterliche Stadtbefestigung - Einführung
Der folgende Text (kursiv) ist eine gekürzte Fassung des Vorwortes von Victor Struwe aus: Tore und Türme - Unsere schöne Heimat, Sachsenverlag, Dresden 1956.
Kaiser Otto (Mitte) an der Rathaus-
tür in Magdeburg
(...) Deutschland war im 11. Jahrhundert noch schwach besiedelt. Das Land gehörte dem Kaiser und den weltlichen oder geistlichen Herren, einer dünnen Oberschicht, die auch alle politische Macht in ihren Händen vereinigt hatte. (...) Die wenigen Städte waren noch jung und eng. Sie hatten sich an Schnittpunkten der Landstraßen herausgebildet, wo seit alters her Händler zusammentrafen, um Waren auszutauschen, an alte befestigte Königshöfe hatten sie sich angelehnt. (...) Die ältesten unter ihnen, vor allem an Rhein und Donau, gingen noch auf die Zeit zurück, in der römische Legionen feste Plätze nördlich der Alpen besaßen.
Inneres Tor der Pfalz Tilleda (Rekon-
struktion), Beispiel für eine einfache
Holz-Erde-Stein-Konstruktion
Der Feudalherr schützte die junge Marktsiedlung, er verlieh ihr Markt- und Stadtrecht, oft machte er sie zur Zoll- und Münzstätte. Er bewahrte seine Stadt vor fremden Zugriffen und hieß ihre Bewohner die ersten Befestigungen anlegen, im wesentlichen ein System von Erd- und Pfahlwerken. Auf den Straßen und durch die neuen Stadttore zog das Leben. (...) Das Mittelalter war eine unruhvolle Zeit, und die betriebsamen Städte wurden zu Sammelbecken des Wohlstands und der Unruhe. (...) Nicht alle Städte des Mittelalters haben sich die Freiheit (von ihren Territorialherren) erkämpfen oder erkaufen können. (...)
Halle, Leipziger Torturm
In jenen kämpferischen und kämpfereichen Jahrhunderten wuchsen sie nach innen und nach außen, und es wuchsen und erstarkten im Zeichen der Selbstbehauptung die Mauern der Stadt. Die bedeutenderen Handelsstädte ersetzten ihre alten Erdwälle, Holztürme und Palisadenzäune bald durch feste Steinwerke. Leipzig ummauerte die Stadt zwischen 1156 und 1170, etwa zur gleichen Zeit beendeten Halle, Erfurt, Frankfurt am Main, Aachen und Soest den Bau ihrer steinernen Mauergürtel. Das System von Mauern, Wehrtürmen, befestigten Toren und schwer überschreitbaren Gräben wurde zum Merkmal städtischer Unabhängigkeit, zum Wahrzeichen bürgerlichen Selbstbewusstseins.
Gegen Ende des 12. Jahrhunderts gab es etwa fünfzig Städte im Reich, dreißig von ihnen waren alte Bischofs- und Klosterstädte, zehn waren Neugründungen. Hundert Jahre später waren es etwa zehnmal mehr. Die Städte Mitteldeutschlands, des Koloniallandes östlich der Elbe, wurden vor allem im 13. und 14. Jahrhundert nach festen Plänen angelegt; sie unterschieden sich von den älteren Gründungen Süd- und Westdeutschlands zumeist durch ein regelmäßigeres Bild des Stadtgrundrisses und der Befestigungen.
Röm. Stadttor: Porta Nigra, Trier
Beispiele für Befestigungswerke waren schon durch die Römer nach Deutschland gekommen. (...) Im 3. Jahrhundert u. Z. war Rom durch die neunzehn Kilometer lange Aurelianische Mauer beispielhaft umschlossen worden. Sie trug in Abständen von fünfundzwanzig bis dreißig Metern eine Verstärkung durch Türme, an ihrer Innenseite liefen gewölbte Wehrgänge entlang, und sie war von etwa vierzehn Toren durchbrochen. Die Tore mit ihren eisenbeschlagenen Türen wurden durch Fallgatter geschützt; Türme flankierten die Toröffnungen. An die Zeit des Kaisers Aurelian erinnert in Deutschland noch die etwa zwischen 270 und 275 u. Z. errichtete Porta Nigra in Trier an der Mosel, ein prachtvoller Rustikabau. Zwischen zwei mächtigen Türmen öffnet sich das Tor, von einer zweistöckigen Galerie überlagert. Die Türme sind vierstöckig, nach der Stadtseite kantig, nach außen rund. (...)
Stadtmauer in Freiberg
Stadtmauer, Wehrgang und Wiekhaus
in Zerbst, Sachsen-Anhalt
Die Befestigungsbauten sind Gemeinschaftswerke; sie entstanden in oft jahrelanger Bauzeit unter großen materiellen Opfern der gesamten Bürgerschaft. (...) Dabei zwang die Entwicklung der Kriegstechnik zu immer sorgfältigeren Planungen. (...) So umschloss am Ende - ein Vorgang, der sich oft über Jahrhunderte hinzog - ein doppelter, manchmal ein dreifacher Befestigungsring die Stadt, Strebepfeiler und Bögen verstärkten die Mauern, Vorwerke schoben sich (...) dem Angreifer entgegen. Der Mauerring zog sich oft in mächtiger Höhe hin, seine Länge war durch die Zahl der Verteidiger begrenzt, die von der Bürgerschhaft aufgebracht werden konnte. An der Stadtseite trug die Mauer den meist überdeckten Wehrgang, nach außen war sie von schmalen Schießscharten durchbrochen. (...)
Stadtmauer mit Turm in Wernigerode
Mühlhausen, äußeres
Frauentor
Von den Mauertürmen konnten man weit ins Land schauen, vor allem aber konnte von dort aus die Mannschaft der Verteidiger, die Stellung auf der Stadtmauer bezogen hatte, mit Schusswaffen unterstützt werden. Wir müssen uns diese Türme, wenigstens nach der Feldseite hin, fensterlos vorstellen, nur Schießscharten und Pechnasen unterbrachen die geschlossene Steinfront. Die Plattform war von Zinnen umstellt, manchmal überdacht; die hübschen barocken Hauben aber, die wir heute an manchen dieser Türme bewundern, sind wie die Fenster Zutaten einer Zeit, in der sie längst ihre alte Bedeutung verloren hatten. In den Anfängen war ein geringer Abstand, eine größere Zahl von Türmen notwendig; betrug ihre Entfernung voneinander zunächst nur Bogenschussweite und später die Strecke, die der Bolzen der Armbrust erreichte, so war es am Ende möglich geworden, die Türme bis auf Feuergeschossweite auseinanderzurücken. Zentrale oder flankierende Tortürme beschirmten den Eingang zur Stadt, ihre empfindlichste Stelle, das für die Verhältnisse der Zeit und im Vergleich zur Burg breite, den Freund und Handelspartner einladende Tor.
Nordhausen um 1640, nach Merian, Bildquelle: wikipedia
Das Hochmittelalter zeigt stets das Bild einer türmereichen Stadt. Quedlinburg besaß achtzehn, Soest sechsundzwanzig, Wismar zweiunddreißig und Halle vierzig Türme. Nordhausen soll mit den Tortürmen siebenundsiebzig Türme gehabt haben, und das mittelalterliche Köln rühmte sich neben seinen vielen Kirchtürmen des Schmuckes von fünfzig Mauertürmen und zehn Tortürmen. (...)
Stendal, Uenglinger Tor
Das Mittelalter ist ebensowenig wie jede andere geschichtliche Epoche eine harmonische Einheit; seine spannungsgeladenen Jahrhunderte brachten Veränderungen auf allen Gebieten des Lebens hervor. Die Zeit, in der ein Angreifer versuchen konnte, eine Stadtmauer durch Leitern zu überwinden oder sie durch Stollen zu unterminieren, um sie zum Einsturz zu bringen, in der man mit hölzernen Angriffstürmen vorging, von deren Plattform aus eine Zugbrücke auf die Mauerfläche ausgeladen werden konnte, - diese Zeit wurde durch die Erfindung und Weiterentwicklung der Feuerwaffen abgelöst.
Salzwedel, Steintor
Alte Wehranlagen, deren Bau vergangenen Bürgergeschlechtern viel Geld und Schweiß gekostet hatte, wurden wertlos. (...) Diese Periode (...) drückte sich auch in der baukünstlerischen Bereicherung der nun seltener in Funktion tretenden Wehranlagen aus, der Tortürme vor allem, die nun weit mehr dem Repräsentationsbedürfnis zu dienen scheinen als ihrem ursprünglichen Zweck. (...) Auskragungen, Seitentürmchen, Zinnen, (...) wurden zu Zierformen. Wir beobachten diese Stufe besonders deutlich ... (im) Bereich des norddeutschen Backsteins.
Staßfurt, Rondell
Es gibt in Deutschland nur noch wenige rein erhaltene Beispiele hochmittelalterlicher Stadtbefestigungen. (...) Vergangene Geschlechter haben Bauten abgerissen, wo und wie es ihren Notwendigkeiten zu entsprechen schien. (...) Als im Jahrhundert des Dreißigjährigen Krieges Feldschlangen und Mörser die Mauern (...) bedrohten, konnten sie die Bürger nur dann mit einiger Aussicht auf Erfolg verteidigen, wenn sie ihre mittelalterlichen Anlagen gründlich modernisiert hatten. (...) An die Stelle der hohen Wachttürme traten geduckte Bastionen mit breiten Geschützständen (...) oder Festungsringe nach italienischem, holländischem oder französischem Vorbild. (...) Und als in der Folgezeit selbst diese weiträumigen barocken Anlagen wertlos geworden waren, wurden auch sie geschleift. (...) In manchen Großstädten, so in Köln oder in Dresden, erinnern breite begrünte Straßen oder Stadtgärten, "der Ring", an die Lage alter Festungswerke und ihrer Gräben, Wälle, Kasematten und Bastionen. (...)
Stadtmauer in Zerbst (Sa.-Anhalt)
Was wir heute noch besitzen, ist kostbar geworden. Es ist ein Stück unserer Vergangenheit, ein Stück unserer selbst, das wir hüten und pflegen sollen. Die erhaltenen Tore und Türme sind nur ein Teil von der Vielfalt und dem Reichtum alter Bauten, die auf uns gekommen sind.
Bewahren wir diesen kulturellen Schatz!
nach Aken, Bernburg und Köthen