Das Straßburger Münster - Die Westfassade als Bauaufgabe *)

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*) So lautet die Überschrift zum Kapitel 30 in Christoph Brachmann, Das Mittelalter, wbg Architekturgeschichte, Hrsg. Christian Freigang, Darmstadt 2014

Goethe war überwältigt, als er vor dem Straßburger Münster stand und es drängte ihn seine Gedanken zur Baukunst zu Papier bringen. Und auch wir stehen heute staunend vor der spektakulären Westfassade, denn dieses Bauwerk hat nichts von seiner Faszination eingebüßt.
Diese Fassade ist die eigentliche Dominante, die sich wie ein massiver Riegel hochhausgleich über die Stadt erhebt. (Brachmann)

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sogen. Riss B, 1275
Beim Nähertreten erkennt man schnell, "dass es sich nicht nur einfach um eine monumentale, auf Fernwirkung abzielende Großform handelt, sondern die Hauptansichtsseiten in nun atemberaubender Feinheit ausgearbeitet sind, eine geradezu flirrende, fadendünne, als eigene Ebene frei dem gemauerten Fassadenkern vorgelegte Maßwerkschicht von hoher Komplexität, das sogenannte 'Harfenmaßwerk' findet sich hier angelegt. Mit ihm werden nicht nur geschickt die Massivität des Kerns kaschiert, sondern auch die verschiedenen, durch die vier Strebepfeiler und zwei markante Horizontalgesimse voneinander getrennten Felder der Fassaden (...) zu einer Einheit verwoben." (Brachmann)
Durch glückliche Umstände haben sich für Straßburg zwei Planungsrisse der Westfassade (Riss A um 1260, Riss B um 1275) erhalten. Insbesondere der sogenannte Riss B verdeutlicht etwas grundsätzlich Neues: Hier ging es nicht mehr nur um einen einfachen Westabschluss einer Kirchenfassade, sondern auch um die Demonstration von Macht. Die Straßburger Bürger hatten 1262 ihren Bischof verjagt und die Bauaufgabe selbst in die Hand genommen. Dass die ab 1277 nach Plan begonnene Fassade dann doch in den oberen Abschnitten anders realisiert wurde, lag wohl auch an den damals andernorts neu entstehenden Vergleichsbeispielen, den im Lauf der Zeit sich wandelnden stilistischen Auffassungen und dem Wechsel der Baumeister. Dass schließlich nur ein Turm gebaut wurde, hatte sicherlich auch mit den finanziellen Mitteln zu tun.

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Die Portale der Westfassade

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Hauptportal
Den unteren Teil der Fassade nehmen zwischen den Strebepfeilern drei Portale ein, an denen das reiche Figurenprogramm der christlichen Heilslehre dargeboten wird. Chronologisch entwickelt sich die Geschichte von links nach rechts: Im Tympanon des linken Portals werden Szenen aus der Kindheit Jesu geschildert, wir sehen zum Beispiel wie die heiligen drei Könige dem Kind ihre Gaben bringen. Das mittlere Portal, das Hauptportal, widmet sich der Passionsgeschichte, es zeigt den Einzug in Jerusalem, die Gefangennahme, die Kreuzigung und die Auferstehung. Das rechte Portal ist schließlich der Wiederkunft Christi und dem Jüngsten Gericht vorbehalten.
Schauen wir uns zuerst das Hauptportal etwas näher an:

Das Hauptportal

Im untersten Register des Tympanons zeigt das erste Feld links den Einzug in Jerusalem, Jesus reitet auf der Eselin, ein Mantel wird unter die Hufe gebreitet, ein Schaulustiger ist auf die Palme geklettert. Es folgen das Abendmahl an langem Tisch, die Gefangennahme mit dem Judaskuss, das Verhör vor Pilatus und die Geißelung. Interessant ist, dass einer der Schergen negroide Züge aufweist.

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Hauptportal, unteres Register im Tympanon

Im Register darüber bekommt Christus links die Dornenkrone aufgesetzt, wir sehen, wie er das Kreuz tragen muss und schließlich bildet die Kreuzigung die zentrale Szene; unterhalb des Kreuzes liegt das Skelett Adams (als Sinnbild des Todes, der durch Christus überwunden werden wird). Rechts folgen die Kreuzabnahme und das Erstauenen der drei Frauen angesichts des leeren Grabes, auf dessen Rand ein Engel sitzt. Die Wächter hingegen schlafen fest und haben nichts bemerkt.

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Hochinteressant ist, wer neben dem Kreuz steht: es sind links Maria und rechts Johannis, doch direkt am Kreuz befinden sich zwei Frauengestalten - links (also rechts von Christus) hochaufgerichtet Ecclesia, die neue Kirche (des Christentums), die den dicken Blutstrahl aus der Seitenwunde in ihrem Kelch auffängt, rechts Synagoga, die alte Kirche (des Judentums), deren Augen verbunden sind und die deshalb den Messias nicht erkennt. Man muss sehr genau hinschauen, um auch zu sehen, dass irgend etwas aus dem Hintergrund unter dem Kreuzarm zusätzlich ihren Kopf herunterdrückt. Ecclesia und Synagoge sind nicht mehr wie noch im frühen Christentum gleichberechtigte Schwestern, jetzt wird das Judentum herabgesetzt. Mit spitzen Hüten werden zwei jüdische Männer gekennzeichnet.
Die wohl berühmtesten Darstellungen von -->Ecclesia und Synagoga überhaupt befinden sich am am Doppelportal des südlichen Querhauses. Unbedingt ansehen!

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Das dritte Register zeigt links den am Baum hängenden Judas, der den Verrat um 30 Silberlinge wegen nicht länger ertragen konnte.
Der aus dem Grab auferstandene Christus ist inzwischen in die Vorhölle hinabgestiegen und befreit das erste Menschenpaar, Adam und Eva. Als er Maria Magdalena erscheint, ist sie sehr verwundert, und auch die versammelten Jünger sind verunsichert, erst als der ungläubige Thomas den Finger in die Seitenwunde legt, gibt es keinen Zweifel mehr.
Im obersten Feld hebt Christus vom Boden ab, umringt von Maria und den staunenden Jüngern. Von zwei Engeln assistiert fährt er auf in den Himmel.

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Hauptportal, obere Register des Tympanons

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Figuren in den Bögen


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Eine unglaubliche Fülle von Figuren bevölkert die Bogenfelder des mittleren Portals. Im ersten, dem äußeren Bogen wird die Schöpfungsgeschichte dargestellt. Wir sehen links die Erschaffung der Welt mit der Taube des hl. Geistes, die Erschaffung von Sonne und Mond, der Pflanzen und Tiere bis hin zum ersten Menschenpaar (in der Spitze). Die Geschichte wird auf der rechten Seite fortgesetzt mit dem Sündenfall und der Vertreibung aus dem Paradies. Wir sehen, wie Eva spinnt und Adam gräbt, Kains Opfer verschmäht wird und wir sehen den Brudermord Kains an Abel.

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Hauptportal, Figuren im äußeren Bogen

Im zweiten Bogen werden die Geschichten des Alten Testaments um Abraham, Noah, Moses, Jakob, Joschua, Jonas und Samson weitererzählt. Wir sehen z. B. die Arche Noah, die Himmelsleiter, den brennenden Dornbusch, wie Moses Wasser aus dem Felsen schlägt, den Fisch, der Jonas verschlingt, den Löwen, dem Samson das Maul zerreißt, schließlich den siebenarmigen Leuchter im Tempel.

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Hauptportal, Figuren im zweiten Bogen

Grausig geht es im dritten Bogen zu: Hier wird gekreuzigt, geköpft, in Öl gekocht oder auf dem Rost geschmort und gesteinigt. Es ist das Martyrium der Heiligen und Apostel.

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Hauptportal, Figuren im dritten Bogen, Märtyrer

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Im vierten Bogen wird alles aufgeschrieben: in seinem unteren Bereich sind die vier Evangelisten (mit ihren Attributen Stier, Adler, Löwe, Mensch) eindeutig zuzuordnen, die anderen Personen stellen Kirchenväter oder Bischöfe dar.

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Der fünfte, innerste Bogen schließlich zeigt Szenen aus dem Leben Christi (z. B. rechts die Taufe, vor allem aber die verschiedenen Wunder, z. B. die Brotvermehrung, die Erweckung Toter oder die Heilung Kranker) und leitet so direkt zur Passionsgeschichte im Tympanon über.

Trumeaupfeiler, Gewände und Wimperg


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Den Mittelpfeiler des Hauptportals schmückt eine Marienstatue mit dem Jesuskind auf dem Arm. Links und rechts in den Gewänden sowie an den Seitenpfeilern befinden sich ernst dreinblickende Propheten. Sie haben das Erscheinen des Messias vorhergesagt. Wie wichtig dieses Erscheinen ist, zeigt die senkrechte Achse in der Mitte des Portals: unten Maria mit Kind am Trumeaupfeiler, im Tympanon darüber Christus am Kreuz, dann der auferstandene Christus und die Himmelfahrt.
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Propheten und Maria mit Kind

Außerhalb im Wimperg darüber sehen wir den Richter auf dem Thron, über ihm noch einmal Maria mit ihrem Kind und ganz oben in der Spitze des Wimpergs behält Gottvater den Überblick.

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weiterführende Literatur:
Christoph Brachmann, Das Mittelalter, wbg Architekturgeschichte, Hrsg. Christian Freigang, Darmstadt 2014
Das Straßburger Münster und seine Bildwerke, herausgegeben von Richard Hamann, beschrieben von Hans Weigert, 1928, Deutscher Kunstverlag Berlin, Digitalisat: Philipps-Universität Marburg, 2014, https://doi.org/10.17192/eb2014.1007
Roger Lehni, Das Strassburger Münster, La Goélette Verlag, Saint-Ouen, Broschüre ohne Jahresangabe
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zum 2. Teil: Die seitlichen Westportale des Straßburger Münsters