Portale und Kapitelle der Klosterkirche St. Pankratius in Hamersleben


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Stiftskirche von SO
In Hamersleben, nördlich von Halberstadt gelegen, ist mit der ehemaligen Kirche der Augustiner-Chorherren ein außergewöhnliches Kleinod romanischer Kunst erhalten.
"Die Stiftskirche Hamersleben gilt als edelster Sakralbau der Hochromanik in Miteldeutschland. Von hoher Bedeutung sind auch die ausgezeichnete romanische Kapitellplastik, die stuckierten Chorschranken (frühes 13. Jahrhundert) und eines der wenigen erhaltenen mittelalterlichen Altarziborien Deutschlands, ferner die spätgotische und barocke Ausstattung." So kann man es auf der Infotafel am Eingang lesen.

Die Informationstafel klärt weiter über die Geschichte der Stiftskirche St. Pankratius auf:

Informationstafel: St. Pankratius, HamerslebenBild "Hamersleben_Tafel.jpg"
Infotafel in Hamersleben
1021 Kaiser Heinrich II. schenkt dem Bistum Merseburg einen Königshof
in Hamersleben.
1108 Bischof Reinhard von Halberstadt gründet in Osterwieck (Nieder-
sachsen) ein Augustiner-Chorherrenstift.
1111/12 Die Chorherren verlegen das Stift nach Hamersleben, wo ihnen
Thitburga und Mechthildis einen umfangreichen Grundbesitz über-
eignen.
um 1140 Die mit der Verlegung begonnene Stiftskirche wird als drei-
schiffige, flachgedeckte Säulenbasilika mit Querschiff und drei-
schiffigem Chor mit Apsiden fertiggestellt. Für Form und Aus-
führung sind Einflüsse der benediktinischen Reformbaukunst nach
dem Vorbild von Hirsau (Baden-Württemberg) entscheidend.
1512 Die beiden Türme erhalten höhere Glockengeschosse in Anlehnung
an die romanischen Formen sowie Spitzhelme.
1. H. 16. Jh.  Die Klausurgebäude werden weitgehend neu errichtet.
1687 Höhepunkt der barocken Kirchenausstattung ist der Einbau des
mächtigen Hochaltars und der Orgel.
1804 Im Zuge der Säkularisierung wird das Stift aufgehoben. Das
Klostergut erhält eine neue Funktion als preußische Domäne,
die Kirche wird der katholischen Gemeinde zur Nutzung übergeben.
seit 1963 umfangreiche denkmalpflegerische Maßnahmen sichern Kirche und
Klausur.


im Innern sind es vor allem die ungewöhnlich schönen und qualitätvollen Würfelkapitelle des Langhauses, die begeistern. Heinrich Nickel würdigt sie wie folgt: "Nirgends sonst in Deutschland finden wir Kapitelle in so sicher durchgebildeter, technisch gekonnter Ausführung, bei beinahe klassischer Gliederung und Komposition des Kapitellwürfels. Die Lockerheit und Ungezwungenheit sowohl in der Körperhaltung der Figuren, wie in der Rankenführung wird gelenkt und gedämmt durch die Grenzen und die Aufteilungen des Kapitellblockes." (1)
Doch wenden wir uns zunächst dem Außenbau und den Portalen der Südseite zu:

Zwei Portale an der Südseite


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Portal im Querhaus
1112 stellte der Bischof von Halberstadt die Stiftungsurkunde für das Kloster in Hamersleben aus. Drei Jahre später wurde eine Stifterin in der Kirche beigesetzt, es müssen 1115 also bereits Teile des Chores und wohl auch des Querhauses fertiggestellt gewesen sein.
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Löwentympanon
Am südlichen Querhaus befindet sich ein heute vermauerter Eingang, dessen Tympanon die Darstellung zweier einander zugekehrter Löwen enthält. Es sind Wächterfiguren, die schon durch ihren bannenden Blick das Unheil abwenden. Die beiden Löwen werden durch eine kleine Säule getrennt. Ein palmettenartiger Fries rahmt die Löwen ein, in den unteren Ecken lassen sich zwei weitere Löwenköpfe erahnen. Das gesamte Portal wird kräftig eingerahmt durch die Fortsetzung der Sockelzone.

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Tympanon
Das heutige Hauptportal an der Südseite des Langhauses wurde erst Anfang des 19. Jahrhunderts eingefügt. Doch das Tympanon ist romanischen Ursprungs: es wurde 1856 vom Eingang zur nördlichen Seitenkapelle (heute vermauert) hierher umgesetzt. Das Bogenfeld zeigt zwei Drachen (oder Basilisken?) aus deren Mäulern Ranken wachsen. Und eine der Ranken trägt eine Traube... (Möglicherweise ist es der vergebliche Versuch, den Weinstock - ein Symbol Christi - zu verschlingen - also auch hier der Sieg des Guten über das Böse...)
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Südportal




Wunderbarerweise wurden vom Magdeburger Künstler Heinrich Apel 1972 kongenial die Türflügel gestaltet. Adam und Eva befinden sich (noch?) wohlig entspannt im Paradies, zwei große Feigenblätter bedecken sie. Adams Feigenblatt dient als Türklinke, Evas als Türklopfer. Was für eine schöne Idee! Das Paradies wird vervollständigt durch allerlei Getier - wir sehen eine Eule, einen Pfau, zwei Täubchen, einen Wiedehopf und anderes. Eine Schlange fehlt natürlich auch nicht!
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Eva
Schlange
Adam

Das Paradies: Details der Bronzetür
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"Achtung Schafe"


Das Südportal ist übrigens nicht der Eingang. Man geht zurück, dann rechts entlang der Mauer, über den kleinen Hof, und dann kann man den unvergleichlichen Blick auf die Ostteile der Kirche genießen. Hier befindet sich der Eingang für die Besucher. Aber die Tür muss man wieder schließen - wegen d. Schafe! Die Schafe aber kann man dabei vorsichtig zur Seite schubsen...
Auch die Bronzetür zum Nordquerhaus wurde von Heinrich Apel gestaltet.


Die östlichen Teile sind als Schauseite gestaltet. Die beiden Nebenapsiden zieren jeweils einfache Bogenfriese und ein schachbrettartiges Band, an der Hauptapsis hingegen befinden sich schöne Blendarkaden mit schlanken Säulen, Würfelkapitellen und senkrechten Bändern mit Schachbrettfries, die bis zum Dachansatz zum Palmettenfries hinauf gezogen sind.
  

Stiftskirche Hamersleben, Ostseite
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Die Kapitelle des Langhauses


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Stiftskirche innen, Blick nach W
Die Kapitelle in Hamersleben stellen insofern einen Sonderfall dar, da wir es hier mit einem "unvergleichlichem Reichtum an Einzelformen und (einer) beinahe barocken Bewegtheit" zu tun haben, die "ihren Ausgleich in der Kapitellgrundform des Würfelkapitells (finden)" (H. Nickel)

Insgesamt befinden sich 12 Kapitelle auf monolithischen Säulen aus Ummendorfer Sandstein im Langhaus. Ihr Dekor reicht von einfachen mit Halbkreisbögen verzierten Seiten bis hin zu vollkommenen plastisch durchgebildeten Ornamenten und Figuren. Diese Kapitelle zählen mit zum Schönsten, was die Spätromanik hervorgebracht hat.
  

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Im folgenden werden auszugsweise die Ausführungen von Heinrich Nickel (1) wiedergegeben, der sich eingehend mit der spätromanischen Bauornamentik und insbesondere mit den Kapitellen in Hamersleben auseinandergesetzt hat.

Nickel schreibt:  
"Der Reichtum der Kapitellornamentik nimmt im Langhaus nach Osten hin zu: das ist leicht verständlich, da ja Kirchenräume auf das Heiligtum des Chores bezogen sind und somit die Bedeutung der Bauglieder bei Annäherung an den Chor größer wird. Eine andere Eigenheit der Hamerslebener Kapitelle ist jedoch aus dieser Uberlegung heraus nicht zu erklären. Die Kapitelle sind (bis auf zwei Ausnahmen) jeweils nur auf drei Seiten ornamentiert. Die dem Seitenschiff zugekehrte Seite ist entweder ganz glatt oder nur durch Schildaufteilungen belebt.
(...)

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Die Darstellungen auf den Seiten eines Kapitells oder verschiedener Kapitelle sind nicht inhaltlich aufeinander bezogen. Die auf den ersten Blick so überschäumend reiche Motivik läßt sich bei näherer Betrachtung leicht in einige Hauptgruppen einteilen, die Variationen des gleichen Motivthemas enthalten. Drei Hauptgruppen schälen sich heraus:

1. Lebensbaum zwischen gegenständigen Tieren.
N1o  2 drachenschwänzige Vögel, die an den Blättern des Lebensbaumes fressen,
N2w  2 Vögel über Ranken,
S1w  2 Löwen rankenverschlingend,
S1s  Lebensbaum zwischen 2 Löwen,
S2s  2 Ziegen am Lebensbaum fressend,
S3o  2 Basilisken seitlich des Lebensbaumes,
S3n  2 gegenständige Vögel (Kampfmotiv ?)
S3w  Löwe und Vogel mit Drachenschwanz, seitlich des Lebensbaumes.

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2. An der Mitte des Kapitellschildes angebrachte Gesichtsmaske, aus deren Mund Ranken quellen.

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N4s  Normalausbildung dieses Typs,
N4w  Hier münden anstatt der Ranken die Rahmungen der Schildaufteilung im Mund der Maske,
S1n  Die Maske verschlingt die Leiber von Drachen,
S1o  Normalausbildung des Typs,
S2w  Die Maske ist gehörnt, an den Ecken des Kapitells sind langohrige Tiere (Hasen oder Esel), die Posaunen blasen, untergebracht,
S4  Hier werden die unteren Ecken des Kapitells durch plastische Masken gebildet, denen gleichfalls Ranken aus dem Munde quellen.

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3. Kampfszenen:

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S2n  Kampf zwischen zwei Kentauren.
Eine Sonderstellung nehmen drei Kapitellschilde ein, auf denen die Besiegung eines Tieres oder eines Menschen durch ein zweites Tier dargestellt wird. Diese Figurengruppen sind (bedingt durch den Inhalt) unsymmetrisch aufgebaut.
N2s  Greif bedrängt (oder besiegt) einen Menschen,
N1s  Panther besiegt einen Drachen,
S4o  Löwe besiegt ein Reh."

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"Hier wird einmal ein nackter (!) Mensch und zum anderen ein Rehkitz von einem Greifen bzw. einem Löwen bedrängt. Das Gute unterliegt hier offenbar dem Dämonischen. Sollte dadurch die Seele bezeichnet werden, die ohne den Glauben (ohne das Opfer Christi) dem Bösen unterliegen muß?" (1)

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"Wo sonst noch finden wir in der Romanik - außer bei Paradies-Szenen - einen nackten Menschen abgebildet? Schon die Tatsache selbst, daß hier eine nackte Figur am Kapitell erscheint, ist erstaunlich, die Darstellungsweise jedoch einmalig. Schutzsuchend kauert sich der Mensch in der Ecke des Schildfeldes zusammen und verschränkt die Arme schreckhaft ineinander. Sein Gesicht ist schmerzlich verzogen. Die Körperhaltung der Figur erscheint uns vollkommen organisch, die Proportionen der einzelnen Körperteile zueinander sind richtig." (1)

Heinrich Nickel weiter:
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Säulenreihe
"Mit überzeugender Sicherheit gelang es dem Hamerslebener Kapitellmeister, die Figurengruppen harmonisch auf den Schildflächen der Kapitelle unterzubringen. Zumeist wählte er die traditionelle heraldische Anordnung der Bildelemente, doch kommen auch, wo es inhaltlich bedingt ist, asymmetrische Kompositionen vor. Und diese unkonventionellen Schildreliefs sind zugleich die künstlerisch reizvollsten; wahrscheinlich deshalb, weil hier die Phantasie des Steinmetzen nicht durch vorgebildete Formen eingeengt wurde. Die asymmetrischen Gruppen sind in ihrer Bewegungsrichtung, wenn sie sich an der dem Mittelschiff zugekehrten Seite des Kapitells befinden, nach Osten, die an den Seitenflächen des Kapitells nach dem Mittelschiff zu ausgerichtet. Der Reliefgrund der ornamentierten Schilde ist an sichtbaren Stellen aufgerauht, damit sich die figürlichen Darstellungen besser vom Grunde abheben.
Unser Hamerslebener Meister sah die Umwelt mit aufnahmebereiten Augen an, und das zeichnet ihn gegenüber den meisten Steinmetzen seiner Zeit aus. Wenn er zwei kämpfende Kentauren bildet, so bewaffnet er sie nicht in üblicher Weise mit Pfeil und Bogen (wie z. B. der Kentaur auf dem Tympanon im Kreuzgang zu Gernrode), sondern stattet sie wie Ritter des 12. Jh. aus: mit kostbarem Gürtel, Lanze und Schild. Die Iris der Augen vertieft er durch Bohrung, was den Gesichtern eine unheimliche Lebendigkeit verleiht." (1)


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Anmerkung: H. Nickel kennzeichnet die Kapitelle wie folgt:
N,S = Nord- bzw. Südarkade, Ziffer = Stellung der Säule von der Vierung aus gerechnet, kl. Buchstabe = Kapitellseite (Nord, Ost, Süd, West)

(1) zitiert nach:
Heinrich L. Nickel: Klosterkirche Hamersleben - Untersuchung der Kapitellornamentik, Wiss. Zeitschrift der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Jg. 3, Heft 3, S. 653-666, Halle (Saale), 1954

(Der vollständige Text des Artikels ist u. a. auf der Webseite von Otto Krugel unter http://kaiserdom-koenigslutter.info/index.php/hamersleben.html abrufbar)
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Wird fortgesetzt...

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Petersberg, Landsberg, Aken