Romanische Portale und Kapitelle in Sachsen-Anhalt: Magdeburg - Teil 1


Das Kloster Unser Lieben Frauen in Magdeburg *)

*) Richtig gelesen, bei der Formulierung Unser Lieben Frauen handelt es sich um eine alte Genitivform, das Kloster war der Jungfrau Maria geweiht. Es ist heute - nach hervorragender Restaurierung - Kunstmuseum der Stadt Magdeburg, die Klosterkirche wird als Konzerthalle genutzt.

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Südseite der Klosterkirche
1120 wurde in Prémontré bei Laon der Prämonstratenserorden gegründet, dessen Gründer und großer Förderer - Norbert von Xanten - eine umfassende Reform des kirchlichen Lebens anstrebte. 1126 wurde Norbert Erzbischof von Magdeburg und besetzte das (angeblich heruntergekommene) Magdeburger Stift Unser Lieben Frauen mit Brüdern seines Ordens. Damit erhob er es zum zweiten (und eigentlichen) Mutterkloster des Ordens. Der asketische Erzbischof muss ziemlich hart durchgegriffen haben, mehrfach wird von Murren und offenem Aufruhr gegen ihn berichtet. 1129 musste er vor der aufgebrachten Menge aus der Stadt fliehen, erst 1134 kehrte er nach Magdeburg zurück, verstarb hier aber noch im gleichen Jahr und wurde in der Klosterkirche begraben. Im 16. Jahrhundert heiliggesprochen, liegen seine sterbliche Überreste seit ihrer während des 30jährigen Krieges erfolgten Überführung heute im Prämonstratenserkloster Strahov bei Prag.

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"Das Kloster Unser Lieben Frauen ist die wichtigste Baugruppe der Magdeburger Romanik. Es erhebt sich nördlich des Domes zwischen diesem und dem ottonischen Markt. Nahe dem Elbhochufer auf einer Anhöhe gelegen, hat es von jeher die dem Strom zugewandte Hauptansicht der Stadt wesentlich mitbestimmt." (Mrusek)
Als ursprünglicher Haupteingang der Kirche diente das Südportal. (Das Westportal der Turmfront ist eine gelungene Veränderung des 18. Jahrhunderts.) Das dreifach gestufte Portal mit je zwei eingestellten Säulen links und rechts entstand um 1150 und ist - wenn man von dem wesentlich einfacheren Nordportal der Quedlinburger Stiftskirche absieht - das älteste Säulenportal im Gebiet der mittleren Elbe. Die Kapitelle sind mit Blatt- und Rankenwerk verziert, das Kapitell rechts außen ist eine Besonderheit, es trägt ein Antlitz, dem Ranken aus dem Mund wachsen. Heute ist das Südportal geschlossen, der Eingang in das Museum erfolgt von der Nordseite. Waldemar Grzimek gestaltete zwischen 1972 und 1976 für das Südportal das Bronzerelief -->Gefahren und Kreatur.

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 Romanisches Südportal der Klosterkirche Magdeburg
 mit moderner Bronzetür und roman. Kapitellen (um 1150)
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"Die Klausurgebäude und der Kreuzgang gehören im wesentlichen dem 2. Viertel des 12. Jahrhunderts an.
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Der mauerhafte Bau (des Alten Refektoriums) besteht aus drei mächtigen Rundtonnen, die übereinander liegen. Der mittlere Tonnenraum liegt heute unter dem Hofniveau. ... (Er) wird an der Ostgiebelwand durch ein weites Tor geöffnet, das von einem kraftvoll anschwellenden Rundbogen eingefasst wird. Bemerkenswert (sind) der qualitätvolle Mauerverband hammergerecht zugeschlagener Quarzitsteine und die vorzüglichen Eckverbände der Wandöffnungen." (Mrusek) In den drei Tonnengewölben werden Exponate des Kunstmuseums ausgestellt. Das Hofniveau ist bei der Rekonstruktion lokal bis zur Toröffnung abgesenkt worden, so dass die Ostansicht des Gebäudes wieder voll zur Geltung kommen kann.

Kunstmuseum: Austellungen in der unteren, mittleren und oberen Tonne
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"Der weite und geschlossene Kreuzgang ist einer der schönsten in Deutschland. Er liegt entgegen mittelalterlicher Gewöhnheit nördlich der Kirche ('im Schatten der Kirche', Anm. HB) und stammt in der Anlage bereits aus der Zeit vor Norbert. ... Der Kreuzgang mit den reizvollen Arkaden und langen kreuzgratgewölbten Gängen ist eine einheitliche Schöpfung von 1135 bis 1150. Gebaut wurde von Osten nach Westen, wie aus der entwickelteren Ornamentik und den Kämpferprofilen des Westflügels mit dem weiträumig-offenen Sommerrefektorium (1945 zerstört und nicht wieder aufgebaut, Anm. HB) hervorgeht." (Mrusek)

Im Kloster Unser Lieben Frauen: Kreuzgang
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"Kräftig und bestimmt abgesetzt ist die Gliederung der Arkadenwand mit ihren säulengeteilten Bogenöffnungen. Auf Säulen mit plastisch gespannten attischen Basen oder vieleckigen Stützen lasten die Unterarkaden, deren Druck von mannigfaltig gebildeten Würfel- und Blattkapitellen aufgefangen wird."

Kapitelle im Kreuzgang
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"Aus den kühlen und schattigen Gängen heraus erlebt man immer wieder die Kraft reifer romanischer Baukunst. -
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Der prächtige Eindruck des Kreuzganges wird gleichsam ins Gemütvolle abgewandelt durch den eigenwilligen Tonsurbau. Sogar sein Helmdach ist aus kräftigen Quarzitsteinen gemauert. Die schweren Wände sind aufgeschichtet und von überstarken Strebepfeilern gestützt. Gebündelte Säulchen mit kompakten Viereckbasen und ebensolchen Kapitell- und Kämpfermassen unterteilen die weiten Arkaden." (Mrusek)
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Tonsurbau oder Brunnenhaus
Die ursprüngliche Bestimmung dieses sogenannten Tonsurbaues ist nicht bekannt. Möglicherweise handelt es sich bei dem Rundbau um ein Brunnenhaus, worauf auch die im Innern befindliche Bodenplatte mit einem Lebenssymbol hinweisen könnte. Das architektonische Kleinod am östlichen Kreuzgangflügel ist in Deutschland von einmaliger Gestalt. Die Kapitelle der gebündelten Säulchen des Brunnenhauses sind aufwändig verziert.


Tonsurbau oder Brunnenhaus
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Säulen und Kapitelle des Brunnenhauses
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In der nördlichen Wand der Sakristei, der sogenannten Hochsäuligen Kapelle, sind vielleicht sogar Reste der Vorgängerbaus der heutigen Kirche (um 1017/18?) erhalten geblieben. "Bei der Erbauung des Kreuzganges brach man zwei große durch Säulchen unterteilte Bogenfenster in die Nordwand und wölbte den Innenraum nach dem Brand von 1188." Die Hochsäulige Kapelle überrascht durch ihre geradezu "leicht" aufsteigenden Gewölbearkaden. (Mrusek)

Die "Hochsäulige Kapelle"
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Die Klosterkirche (Liebfrauen- oder Marienkirche)

Für die Baugeschichte der Klosterkirche lassen sich mehrere Phasen unterscheiden. Mrusek beschreibt folgende Bauabschnitte (leicht gekürzt):
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Ia. Erzbischof Werner (1064-1078) hatte den unscheinbaren Vorgängerbau wohl allmählich abgetragen und westlich (?) davon den Kernbau der heutigen Anlage aufführen lassen: die Arkaden des Langhauses bis zum achten Joch nach Westen, ebenso die Westwand des Querhauses und die nischengegliederten Umfassungsmauern der Krypta mit den kräftig-plumpen Wandsäulen.
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Nebenapsis
Überzeugend hebt sich das Kernmauerwerk des ältesten Langhauses ab. Von unregelmäßigem Farbwechsel roten und gelben Sandsteins wurden Pfeiler und Bögen der für die Ostteile maßbildenden Vierung und die Rundarkaden nach den Seitenschiffen hin aufgeführt. Die beiden eingeschalten Säulen des östlichen Mittelschiffjoches mit hohen attischen Basen und kräftigen Würfelkapitellen und die ebenfalls ursprünglichen Langhauspfeiler, die den gesamten Raum teilen, belegen folgendes: Das älteste Langhaus war als Säulenbasilika mit dem rhythmischen Ablauf (Vierungs-) Pfeiler - drei Säulen - (Mittel-) Pfeiler - drei Säulen - (West-) Pfeiler geplant und wohl auch aufgeführt worden. Es ist nicht geklärt, ob vom zweiten Ostjoch ab bereits in Folge einer Planänderung und Baustockung statt Säulen abgeschrägte Pfeiler oder solche erst nachträglich als Ummantelung eingeschoben bzw. neu daruntergesetzt wurden. Letzteres ist wahrscheinlicher.

Liebfrauenkirche Magdeburg
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Ib. Um 1100 wurden die Ostteile vollendet. Die dreischiffige Krypta, deren Gewölbe von etwas unbeholfen proportionierten Stützen mit Würfelkapitellen und hohen attischen Basen getragen werden und die den Langhaussäulen des 11. Jahrhunderts nahestehen, wird fertig, ebenso das Querhaus. Bald folgen auch Chorquadrat und Apsis. Eine Flachdecke schloss den Innenraum ab.

Liebfrauenkirche, Krypta
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II. Der Ausbau des Westabschlusses und damit die Vollendung dieses (zweiten) Baues erfolgte, nachdem die Prämonstratenser das Stift übernommen hatten, etwa von 1129 bis 1160.
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Nebenapsis, Detail
Das Langhaus wird auf neun Joche erweitert, daran schließt sich die wirkungsvoll aufragende Turmgruppe. Wohl vor 1150 wurde die Krypta bis in die Mitte der Vierung vorgeschoben und in drei Bögen nach Westen geöffnet.
III. Nach dem Brand von 1188 entsteht die spätromanische Pfeilerbasilika. Der Fußboden wird höhergelegt und die frühromanischen Säulen werden ausgewechselt bzw. ummantelt; gleichzeitig erfolgten Umbau und Einwölbung der Sakristei.

Ummantelte Säulen, romanische Friese und andere Details
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IV. Unter dem Eindruck des Neubaus des gotischen Domes nach 1207 erfolgte die frühgotische Einwölbung der bis dahin flachgedeckten Basilika. Dadurch entsteht der Eindruck zweier ineinander geschachtelter Baustile.
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Ansicht von Osten
Da der mauerhafte romanische Bau statisch den Schub-Druck-Anforderungen des gotischen Gliederbaus nicht genügen konnte, bedurfte es einer Hilfskonstruktion. Dienstbündel, Rippen und Gewölbeschalen wurden in die ältere Kirche eingehängt und außen durch Strebepfeiler gesichert. In dem sogenannten Übergangsstil gehen - wie der romanisierende Rundbogenfries der aufgesetzten Schildwand zeigt - die Formen zweier abfolgender Stile nebeneinander her. Querhaus und Seitenschiffe werden um 1220 eingewölbt, das Mittelschiff mit dem in Deutschland seltenen sechsteiligen Rippensystem um 1230, Altarhaus und Vierung um 1240. (Das Chorgewölbe ging leider durch die Kriegszerstörungen verloren.-HB) Die Veränderungen wie Strebepfeiler und vergrößerte Fenster verunklären aber nicht den sonst sehr einheitlichen Charakter der dreischiffigen romanischen Basilika.

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Quelle und Textzitate (kursiv) aus:
Hans-Joachim Mrusek, Magdeburg, Seemann Verlag Leipzig, 2. Auflage 1966

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zum Teil 2: Im Kreuzgang des Magdeburger Domes