Romanische Portale und Kapitelle in Zentralspanien


Die Basilika San Vicente in Avila


Der Blick vom Aussichtspunkt Castro Postes auf die höchstgelegene Stadt Spaniens - Avila - ist wahrhaft spektakulär! Vollständig umgibt die imposante Stadtmauer aus dem 11./12. Jahrhundert die Altstadt.


Nachdem König Alfons VI. von Kastilien 1085 Toledo erobert hatte, bemühte er sich das Land zu sichern und ließ in Avila mit Hilfe vorwiegend französischer (*) Baumeister eine gewaltige Befestigungsanlage, bestehend aus 12 Meter hohen Mauern, neun Stadttoren und 88 halbrunden Türmen errichten. 1985 wurde die Altstadt von Avila in die Liste des UNESCO Weltkulturerbes aufgenommen.
(*) Graf Raimund von Burgund war mit Urraca, einer Tochter von König Alfons, verheiratet, somit lagen Verbindungen nach Frankreich nahe.

San Vicente
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Die Kirche San Vicente liegt zwar außerhalb der Stadtmauer, sie gehört aber natürlich ebenfalls zum Welterbe und ist Avilas älteste und bedeutendste romanische Kirche.

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Grundriss, aus (1)
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Portalhälfte, aus (2)
Die Basilika San Vicente wurde vor 1109 begonnen und war mit dem weit ausladenden Querhaus und den gestaffelten drei Apsiden im Osten in der Tradition der großen Pilgerkirchen geplant. Doch aus irgendwelchen Gründen kam es 1109 zu einer Bauunterbrechung, erst Mitte des 12. Jahrhunderts wurde weitergebaut. Und so kann man in der romanischen Kirche bereits den Formenwandel zur Gotik erahnen.
Die Westtürme wurden nie fertiggestellt. Zwischen ihnen liegt eine Vorhalle, in der sich eines der bedeutendsten romanischen Skulpturenportale Spaniens befindet.

Das Westportal von San Vicente


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Das Portal ist zweigeteilt. Am Trumeaupfeiler (Mittelpfeiler) die thronende Christusfigur - Christus als Weltenherrscher. Jeweils fünf Figuren von lebhaft miteinander diskutierende Aposteln begleiten ihn im linken und rechten Gewände. Acht von ihnen stehen auf kräftigen Säulen. Ihre Gesichter zeigen trotz der starken Verwitterung/Beschädigung individuelle Züge.

San Vicente, Westportal mit Christus und Apostelfiguren
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Die Archivolten (Bögen) sind mit Pflanzen, Ornamenten  und Rankenmustern reich geschmückt, insbesondere der innere Bogen zeigt eine phantastische Welt mit Fabelwesen, aber auch mit menschlichen Figuren und Tieren. Den oberen Abschluss des Portals bildet ein horizontales Reliefband mit 26 menschlichen Figuren.

Die beiden Eingänge werden außerdem noch von zwei Stierköpfen (innen) und zwei Dämonen (außen) flankiert. Über den  Eingängen befinden sich halbkreisförmige Reliefs (Lünetten), die die Geschichte des Lazarus, das Gleichnis vom reichen und armen Mann, erzählen. Die Reliefs sind leider stark beschädigt, doch kann man die Geschichte noch erkennen.

San Vicente, Westportal mit dem Gleichnis vom armen Lazarus
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Im linken Relief können wir den reichen Mann mit seiner Frau am gedeckten Tisch sitzend erahnen, zwei Diener warten ihnen auf. Auf einen Stock gestützt nähert sich von rechts der arme und kranke Lazarus. Zwei Hunde lecken ihm die Füße. Er wird an der Tür kalt abgewiesen.

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Im rechten Relief sehen wir, dass dem Reichen sein Geiz schlecht bekommen ist. Er ist ganz plötzlich gestorben. Wehklagend stehen seine Frau und die Diener an der Bahre. Darüber sehen wir, wie ein hässlicher Dämon die Seele des Reichen am Strick gepackt hat. Mit Riesenschritten geht es geradewegs mit ihr zur Hölle...

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Ganz anders dagegen die Lazarus-Seite. Auch der Arme ist tot. Doch er liegt friedlich wie schlafend da und seine Seele wird, eingebettet wie ein kleines Kind in ein Tuch, behutsam von zwei Engeln zum Himmel emporgetragen! Das nennt man dann wohl ausgleichende Gerechtigkeit...

Die Geschichte vom reichen Prasser und dem hungernden armen Lazarus stand den Gläubigen beim Eingang in die Kirche mahnend vor Augen. Sie wurde im Mittelalter gern dargestellt, man findet sie u. a. auch am Portal von =>Moissac (Frankreich).

Gehen wir hinein!
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Als nach der Unterbrechung von 1109 die Bauarbeiten an San Vicente Mitte oder Ende des 12. Jahrhunderts wieder aufgenommen wurden, hatten sich die Vorstellungen der Baumeister verändert: Den mächtigen kreuzförmigen Pfeilern sind jetzt Halbsäulen vorgelagert, die Bögen und Gewölberippen tragen. Das Mittelschiffsgewölbe ist besonders interessant: Seine Gurt- und Diagonalrippen sind reich profiliert und liegen jeweils auf Kapitellen auf. Dabei vermitteln die schräg gestellten Kapitelle der Diagonalrippen geschickt zwischen den rechteckigen Pfeilervorlagen und den schräg ansetzenden Rippen (3). Das achtstrahlige Vierungsgewölbe ist bereits im Geist der Gotik realisiert.

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Wie in vielen spanischen Kirchen üblich, füllt ein gewaltiger barocker Altarretabel die gesamte Wand des Chores aus. Die seitlichen Chorwände zeigen dagegen einen romanischen Wandaufriss und romanische Figurenkapitelle.

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Romanische Kapitelle im Innern von San Vicente


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Der Schrein der hl. Geschwister

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San Vicente wurde an der Stelle errichtet, an der angeblich drei frühchristliche Heilige um 306 ihr Martyrium erlitten. Vicente, Sabina und Cristeta waren der Legende nach Geschwister. Für sie entstand um 1190 ein Schrein, dessen figürliche Reliefs mit zu den herausragenden Arbeiten romanischer Skulptur in Spanien gehören. Der Schrein steht unter einem Baldachin aus dem 16. Jahrhundert, in den Relieffeldern auf den Längsseiten wird aus dem Leben der Heiligen, von ihrem Martyrium und von der Nachwirkung erzählt. Die Schmalseiten zeigen auf der einen Seite Christus in der Mandorla und auf der anderen seine Anbetung durch die hl. drei Könige.

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Auf der ersten Längsseite (Nordseite) sehen wir links, wie der hl. Vicente vor dem römischen Konsul steht, der ihn verurteilt. Vicente kommt in den Kerker (2. Szene von links), doch seine beiden Schwestern besuchen ihn dort und verhelfen ihm zur Flucht (3. Szene). Die 4. Szene zeigt den erbosten Konsul, er gibt seinen Leuten den Befehl zur Verfolgung. Die folgenden Szenen zeigen die Verfolgung und im letzten Bild (ganz rechts) den Einzug in Avila, wo die Geschwister eingeholt werden.

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Auf der gegenüberliegenden (Süd-)Seite nimmt das Geschehen seinen dramatischen Lauf. Die Geschwister werden entkleidet (1. Szene) und die Henkersknechte zerreißen mit einem Gestell ihre Körper (2. Szene). Damit nicht genug der Grausamkeiten: Die 3. Szene zeigt, wie ihre Leiber zusätzlich von den Henkersknechten mit großen Steinen zwischen Bohlen zerquetscht werden, ein dritter - ein Jude - hilft ihnen dabei. Doch Engel tragen die Seelen der Märtyrer in den Himmel. Aus den toten Leibern wächst eine riesige Schlange, die den Juden würgt (4. Szene). Dieser bereut, bekennt sich nun zum wahren Glauben und man sieht ihn zuletzt als Steinmetz an dem Schrein arbeiten bzw. an der Kirche bauen (5. Szene, rechts).

Südportikus und -portal

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Der auffällige Portikus im Süden der Kirche reicht vom Querhaus bis über die Westwand hinaus. Möglicherweise wurde hier früher Gericht gehalten. Durch den Vorbau übersieht man leicht die vielen Konsolen des Dachansatzes vom Mittelschiff (Südseite), und dass sich in den Nischen zwischen ihnen viele kleine Figuren befinden. Der Vorbau verdeckt außerdem ein wenig das Südportal der Kirche, dessen Skupturen zu den ältesten gehören sollen. Hier finden wir doch links tatsächlich eine Verkündigungsszene. Auf der rechten Seite soll der sitzende König David die Züge von König Alfons tragen, die beiden anderen Figuren werden als Santa Sabina und San Vicente gedeutet. (4)

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Darüber hinaus kann man an der Südwand der Kirche noch eine Reihe schöner Kapitelle entdecken. Mein persönlicher Favorit: Die zweischwänzige Sirene, die Sirene bifida!

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Nach dem Besuch der Basilika kann man entweder ein Stück an der Stadtmauer von Avila weitergehen oder auch gleich das Stadttor San Vicente passieren, um in die Stadt zu kommen. Hauptsache man bringt genügend Zeit mit. Es gibt nämlich sehr viel zu sehen in Avila. Leider wird man aber als Reisebustourist oft ziemlich gescheucht...

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Literatur/Quellen:
1,2) Georg Dehio, Gustav von Bezold, Die kirchliche Baukunst des Abendlandes (Atlas 2 / 3), Stuttgart 1888 / 1892
Universitätsbibliothek Heidelberg, Digitalisat,
DOI / Zitierlinks: https://doi.org/10.11588/diglit.11373 und https://doi.org/10.11588/diglit.31312
3) R. Toman (Hrsg), Romanik, Architektur, Skulptur, Malerei; Ullmann & Könemann, 2007
4) H.-P. Burmeister, Zentralspanien und Madrid, DuMont Kunstreiseführer, Ostfildern 2006

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