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Romanik in Nordspanien entlang des Pilgerweges
Portale, Kapitelle und Konsolen an San Martin de Frómista
San Martin in Frómista von SO
Die romanische Kirche San Martin in Frómista ist der Rest eines 1066 von Dona Mayor, der Frau des Königs Sancho III. von Navarra, gestifteten Klosters. Bei der um 1900 durchgeführten Restaurierung (*) wurde die Kirche von allen An- und Umbauten befreit, das Bauwerk steht heute als ein Meisterwerk romanischer Baukunst am Jakobsweg in Nordspanien wieder in ursprünglicher Gestalt da.
(*) Die damalige Restaurierung ist nicht unumstritten, doch die meisten Besucher schätzen die Kirche als Inbegriff der Romanik in Spanien.
Vor allem ist die Kirche San Martin bekannt für ihren herausragenden Reichtum an bildhauerischen Arbeiten, so gibt es im Innern zahlreiche Kapitelle mit figürlichen Motiven. Berühmt sind weiterhin die Konsolfiguren im Außenbereich unter dem Dachüberstand.
Das Bauwerk ist harmonisch gegliedert, schachbrettartige Friese (Rollenfriese) umziehen die gesamte Kirche, die schön gearbeiteten Kapitelle an den Fenstern und Portalen zeigen Pflanzen-, Tier- und Menschendarstellungen. Die Portale sind gestuft und drei von ihnen von einer Rechteckumrahmung umgeben.
Kapitelle im Innern von San Martin de Frómista
Innenraum nach Osten
Im Innern der Kirche stellen die 50 Kapitelle ein besonderes Schmuckmotiv dar. Nicht alle sind original erhalten, bei der Restaurierung 1896-1904 wurden einige durch Kopien ersetzt (restaurierte Kapitelle und Kämpferplatten werden durch den Buchstaben "R" gekennzeichnet).
restauriertes Kapitell
In der aktuellen Forschung werden bezüglich der Interpretation der figürlichen Kapitelle im Innern der Kirche durchaus verschiedene Ansichten diskutiert. Manche Kapitelle mit Tierdarstellungen scheinen mit einer Geschichte verbunden, wie z. B. die Darstellung der Fabel von dem Raben, dem Fuchs und dem Käse, auch etliche Kapitelle mit Figuren und Szenen aus der Bibel, wo z. B. Adam und Eva vom Apfel kosten - der Sündenfall - oder die Anbetung der heiligen drei Könige, lassen sich gut deuten.
Adam und Eva (38)
An einem weiteren Kapitell im Langhaus erkennt man auch sehr schön Handwerker bei ihrer Arbeit. Allgemein stehen bei den Kapitellen bestimmte Tiere für das Gute, andere (wie Schlangen, Eulen, Affen und Monster) wiederum für das verwerflich Böse - es findet ja ein ständiger Kampf zwischen diesen beiden Polen statt. Kein Wunder also, dass zur Belehrung die Darstellung des Bösen und des daraus folgenden sündhaften Verhaltens in abschreckenden Formen ausgeführt wird.
"Orestie?"-Kapitell (47)
Überhaupt ist der Kampf zwischen Gut und Böse ein beliebtes Thema. An herausgehobener Stelle im Chorbereich kann man ein Kapitell (das Original ist im Museo de Palencia) entdecken, das den Forschern lange Zeit Rätsel aufgab. "Von beiden Seiten aus halten barbusige Frauen hinter aufgespannten Tüchern einem nackten Paar in der Mitte des Kapitells Schlangen entgegen. ... (Die) Schlangen-Halterinnen des Kapitells (sind) als verwerflich stigmatisiert. Das Paar in der Mitte hingegen, das gegen diese Bedrohung von Außen eng zusammengerückt ist, was bildlich durch die in Form eines "X" überkreuzten Beine verdeutlicht wird, scheint positiv konnotiert zu sein. Der Mann versucht, sich die Schlangen mit Schwertstreichen vom Leib zu halten, während die Frau mit beiden Händen eine sprechende Abwehrgeste in deren Richtung zeigt und ihren Kopf abwendet.
"Orestie?"-Kapitell (47)
Diese erratische Darstellung eines nackten Paares im Kampf mit Schlangen stand in der Kunst lange als Solitär ohne jegliches Vergleichsbeispiel da. Das Rätsel des Kapitells lüftete sich erst, als der spanische Forscher Serafín Moralejo Alvarez 1973 erkannte, dass ein römischer Sarkophag die direkte Vorlage für das Kapitell des Chorbogens abgegeben hat (...)
Mit einem Schlag gelangte die Forschung zur Antikenrezeption des Mittelalters aus ihrer Defensive gegenüber der Forschung zur Rezeption der Antike in der Renaissance heraus, denn zum ersten Mal konnte für die mittelalterliche Kunst die erstaunliche Rezeption wesentlicher Teile eines Sarkophagfrieses auf einem Kapitell nachgewiesen werden: Von dessen dreizehn Figuren sind sechs auf dem Kapitell wiederzufinden." (Stefan Trinks)
Mit einem Schlag gelangte die Forschung zur Antikenrezeption des Mittelalters aus ihrer Defensive gegenüber der Forschung zur Rezeption der Antike in der Renaissance heraus, denn zum ersten Mal konnte für die mittelalterliche Kunst die erstaunliche Rezeption wesentlicher Teile eines Sarkophagfrieses auf einem Kapitell nachgewiesen werden: Von dessen dreizehn Figuren sind sechs auf dem Kapitell wiederzufinden." (Stefan Trinks)
Der römische Sarkophag stellt die "Orestie" dar; in dem antiken Mythos verfolgen die schlangentragenden Erinnyen (Rachegöttinnnen) den jungen Orest, der seine Mutter getötet hat und so den Mord an seinem Vater Agamemnon rächen wollte ... Davon wussten die mittelalterlichen Bildhauer jedoch vermutlich nichts mehr.
"Wer auch immer im 11. Jahrhundert als Betrachter vor diesem antiken Mirabilium stand, war somit darauf angewiesen, das Geschehen auf dem Sarkophag aus eigener Sicht und mit dem Bildwissen seiner Zeit zu deuten. Indem das Relief im Zentrum einen nackten Heroen im Kampf gegen schlangentragende Erinnyen zeigt, lag die interpretatio christiana eines "Adam Alter" nahe, eines neuen Stammvaters, der sich gegen die Bedrohung durch die Versucher-Schlange zu behaupten schien oder ihr zumindest aktiven Widerstand entgegenbrachte." (Stefan Trinks)
Stefan Trinks: Nacktheit am spanischen Pilgerweg – Antike als Antidot, in: „Und sie erkannten, dass sie nackt waren.“ Nacktheit im Mittelalter (Bamberger interdisziplinäre Mittelalterstudien 1), hg. von Stefan Bießenäcker, Bamberg 2008, S. 35–65.
Kapitelle im Innern:
Kapitelle am Außenbau von San Martin in Frómista
Außen schmücken 46 Kapitelle die Säulen der Apsiden, Fenster und Portale. Etwa die Hälfte der Kapitelle zeigt Planzenmotive und -ranken, die oft kunstvoll ineinander verflochten sind. Eine zweite Gruppe bilden Tiermotive: häufig werden hockende Affen dargestellt; einem Affen scheint sogar eine Schlange etwas ins Ohr zu flüstern. Bei den Figurenkapitellen mit menschlichen Wesen werden wieder Geschichten erzählt, Löwen werden gebändigt, andere Figuren klettern aus Tiermäulern, doch in vielen Fällen lassen sich keine eindeutigen Bezüge mehr herstellen.
Konsolen am Außenbau
Es sollen 309 unterschiedliche Konsolen sein, die außen unter dem Dachüberstand angebracht sind. Darunter gibt es einfache Rollenmuster und Pflanzendekore, doch der überwiegende Teil der Konsolen besteht aus figürlichen Motiven. Fabelwesen kommen vor, Vögel, Bestien, ein Esel, der die Leier schlägt ... Auch bei den menschlichen Figuren gibt es die unterschiedlichsten Darstellungen: Menschen, die von Tieren verschlungen werden, Missgebildete, Verdrehte, ein Buckliger, eine Figur mit Turban, Darstellungen der Wollust und anderes. Gehen Sie auf Entdeckungsreise!
Kloster Santo Domingo de Silos