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Portale, Tympana und Kapitelle in Burgund - Die Kathedrale St-Lazare in Autun
Die Stadt Autun kann auf eine lange Geschichte zurückblicken: Bereits in der Antike spielte sie eine bedeutende Rolle im Widerstand gegen die Römer, später residierten hier die frühen Burgunderkönige und im Mittelalter war Autun ein wichtiger Bischofssitz.
Das Weltgerichtsportal des Meisters Gislebertus
Hommage an Gislebertus
Kathedrale St-Lazare, Autun
Ursprünglich war die Kathedrale in Autun dem heiligen Nazarius geweiht, doch als im 8. Jahrhundert die Gebeine des Lazarus (Jesus hatte diesen der Überlieferung nach vom Tode in das Leben zurückgeholt - ein ganz besonderes Wunder) hierher gebracht wurden, wandelte sich die Verehrung und schließlich wurde Anfang des 12. Jahrhunderts der Bau der neuen Kathedrale St-Lazare beschlossen. Es ist ein besonderer Umstand, dass der Name eines herausragenden Baumeisters und Bildhauers hier überkommen ist, Meister Gislebertus, denn das war im Mittelalter durchaus nicht üblich. Das ihm zugeschriebenen Weltgerichtsportal gilt als eines der Hauptwerke der burgundischen Romanik.
Vorhalle mit Weltgerichtsportal
Posaunenengel
Ein Glücksumstand ist es auch, dass das Weltgerichtsportal der Zerstörungswut während der Französischen Revolution entgangen ist, es war bereits früher schon, da es als nicht mehr zeitgemäß galt, unter einer Gipsschicht verborgen worden. Das 19. Jahrhundert brachte eine Neubewertung der mittelalterlichen Kunstwerke, unter der Leitung von Viollet-le-Duc wurden umfangreiche Restaurierungen durchgeführt. So auch hier, die Figuren wurden ergänzt, der Trumeaupfeiler (der Mittelpfeiler) und die Treppenanlage sind Neuschöpfungen des 19. Jahrhunderts.
Tympanon
Im Zentrum des Tympanons trohnt der Weltenherscher Christus in der von Engeln getragenen Mandorla. Christus scheidet am Jüngsten Tag Gut und Böse, die Guten zu seiner Rechten (vom Betrachter also links) werden ins Paradies zur ewigen Seeligkeit gelangen, die Bösen zu seiner Linken dagegen erfahren die ewige Verdammnis und schmoren in der Hölle. In der Vorstellung des Mittelalters bedeutete der Tod also nicht das Ende: Das Leben findet in dieser Zwei-Welten-Lehre seine Fortsetzung im Jenseits entweder im Himmel in den Gefilden der Erlösten und Seeligen oder eben bei den Verdammten in der Hölle. Am Jüngsten Tag werden alle Toten auferstehen und dem unerbittlichen Gericht unterworfen.
"Die Guten"
Seelenwägung und "Verdammte"
Auf der Seite der "Guten" sind die Apostel zu sehen, wobei Petrus dabei hilft, ebenso wie einer der Engel, die Auserwählten ins Paradies (ins himmlische Jerusalem) hinauf zu heben. Auf der anderen Seite wird die "Seelenwägung dargestellt: Erzengel Michael bedient höchstselbst die Waage, in der die Seelen gewogen werden ...
Die Teufel sind wütend
Seelenwägung
Doch halt - was ist denn das? Schummelt der Erzengel etwa? Eindeutig ist doch zu sehen, wie er verschmitzt den Betrachter anguckt und mit beiden Händen die Waagschale herunterdrückt! Wie sich da die Seele schon freudig auf die andere Seite wendet! Da hilft es offenbar auch nichts, dass in der anderen Schale schon ein hässlicher dicker Dämon sitzt, dass der klapperdürre Teufel vergeblich versucht, den Waagebalken festzuhalten und ein zweiter eilends angelaufen kommt, um noch im allerletzten Moment eine dicke Kröte in die Waagschale zu werfen ... Gegen die himmlische Macht haben sie keine Chance! Rührend auch zu sehen, wie zwei kleine Menschlein sich wie kleine Kinder am Rockzipfel der Mutter am Gewand des Erzengels festzuhalten versuchen ...
Verdammte
"In dieser für die romanische Kunst ungewöhnlichen Betonung menschlicher Gefühlswerte besticht die eigentliche Größe des Gislebertus, und genau hier liegt der Unterschied zu den gotischen Weltgerichtsportalen, in denen schroff und ohne Anteilnahme zwischen Gut und Böse unterschieden wird. Statt dogmatischer Strenge sehen wir in Autun Mitleid, das Auftraggeber und Künstler wohl gleichermaßen beseelt hat." (1)
Verdammte
Der Tod war im Mittelalter ständiger Begleiter der Menschen. Und so nimmt die Betrachtung der Welt vom Standpunkt des Todes aus einen bevorzugten Platz ein. Was den sündigen Menschen einst nach der Seelenwägung erwarten würde wurde drastisch mahnend an den Kirchenfassaden vor Augen geführt. Der Türsturz in Autun zeigt Menschen, die ihren Gräbern entsteigen (wobei Engel ihnen behilflich sind) und eine lange Reihe bereits Auferstandener, die nun ängstlich in Erwartung des Folgenden ihre Arme heben. Links erkennt man einen Bischof, der nachdenklich seinen Kopf in die Hand stützt; ein Mönch, ein Ritter, ein Pilger sind zu sehen. Auf der rechten Seite (links von Christus) herrscht Heulen und Zähneklappern, der Reiche umklammert krampfhaft seinen Geldsack, eine Schlange hat sich bei ihm festgebissen, von zwei Schlangen wird auch eine Frau gequält - das eindrucksvollste Motiv sind jedoch die beiden dämonischen Hände, die wie eine Riesenzange den armen Tropf nach oben ziehen. Selbstbewusst hat Meister Gislebertus sein Werk signiert: An zentraler Stelle liest man GISLEBERTUS HOC FECIT - Gislebertus hat dies gemacht.
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(1) Thorsten Droste, Burgund, Reise zu den Klöstern, Schlössern und historischen Städten der Weinregion im Herzen Frankreichs, DuMont Kunstreiseführer, 6. aktualisierte Auflage 2012, S. 180, DuMont Reiseverlag Ostfildern
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Kapitelle im Innenraum von St-Lazare in Autun
St-Lazare, Innenraum
Die Kathedrale ist eine dreischiffige Basilika mit Querhaus, ausgeschiedener Vierung und Dreiapsidenchor. Nach der dramatischen Schau des Weltgerichts am Eingangsportal - jeder, der das Portal durchschritt und seine Missetaten kannte, musste ahnen, was ihm bevorstand - erwartet den Besucher im geheimnisvollen Dämmerlicht des Innern die symbolhafte Fülle der an den Kapitellen erzählten Geschichten. Viele der rätselhaften Gestalten sind dem heutigen Besucher nicht mehr verständlich, und doch spricht die direkte und expressive Sprache der Bildhauer bis heute die Menschen an.
Kapitelle im Kapitelsaal, Autun
Kampf gegen den Drachen
St-Lazare, Kapitelsaal
Einige der Kapitelle des Meisters Gislebertus kann man im Kapitelsaal der Kathedrale auf Augenhöhe bewundern. Bei den Restaurierungsarbeiten des 19. Jahrhunderts wurden einige Kapitelle im Kirchenschiff abgenommen und dort durch Abgüsse ersetzt. Die Originale werden seitdem wie in einem kleinen Museum im Kapitelsaal ausgestellt. Zu den Kapitellen werden auf Tafeln hilfreiche Erklärungen angeboten.
nach Vezelay